Vier Fragen an… Bernhard Stüer, Inklusionsberater bei der Handwerkskammer Münster

#1: Herr Stüer, was brauchen Betriebe, damit Inklusion im Handwerk gelingt?

Meiner Erfahrung nach brauchen sie vor allem zwei Dinge: eine gute Beratung und finanzielle Unterstützung, etwa für neue Maschinen, die ein Mensch mit einer körperlichen Behinderung gut bedienen kann. Beides hängt damit zusammen, dass die meisten Handwerksbetriebe sehr klein sind. Im Schnitt haben sie zehn bis zwölf Mitarbeiter:innen. Investitionen sind für sie deshalb oft ein größerer Schritt als für Unternehmen mit höheren Umsätzen. Dazu kommt ein Zeitfaktor. In Handwerksfirmen gibt es in der Regel keine Personalabteilung, die Betriebsleitung muss diesen Bereich also „nebenbei“ mit übernehmen. Deshalb ist es wichtig, den Firmen mit einer guten Beratung so viel Aufwand wie möglich abzunehmen oder ganz zu ersparen.

#2: Wie und zu was genau beraten und unterstützen Sie Handwerksfirmen?

Meine Kollegin und ich beantworten alle Fragen zur Ausbildung, Einstellung und Weiterbeschäftigung von Menschen mit Behinderung. Wir informieren über die Rahmenbedingungen und unterstützen Betriebe dabei, Fördermittel zu beantragen. Es geht in den Beratungsgesprächen aber auch um weitere Anlaufstellen rund um das Thema Inklusion. Und wir vermitteln weiter, wenn etwa das Inklusionsamt, die Agentur für Arbeit oder der Integrationsfachdienst zuständig sind.

Die größte Hürde für uns selbst übrigens: Viele Betriebsleiter:innen wissen nach wie vor wenig über die Zusammenarbeit mit Menschen mit Behinderung. Deshalb haben sie Vorbehalte und scheuen sich davor, überhaupt Kontakt zu uns aufzunehmen. Viele beschäftigen sich erst dann mit dem Thema, wenn sie direkt damit in Berührung kommen – etwa weil jemand aus ihrer Belegschaft nach längerer Erkrankung oder einem Unfall eine Schwerbehinderung hat oder weil sich ein Mensch mit Schwerbehinderung bei ihnen bewirbt.

Wir arbeiten deshalb auch im Rahmen der Fachkräftesicherung daran, unsere Angebote bekannter zu machen. Unsere Kolleg:innen aus der Ausbildungs- und Betriebsberatung der Handwerkskammer machen Firmen auf unsere Unterstützungsmöglichkeiten aufmerksam. Das ist sehr wichtig, weil Unternehmen beispielswiese Fördergelder sehr frühzeitig beantragen müssen – nämlich noch bevor sie einen Menschen mit Behinderung neu einstellen. Deshalb sollten sie sich am besten sofort bei uns melden und beraten lassen, sobald das Thema aufkommt.

#3: Welche Fragen stellen Ihnen Betriebsinhaber:innen besonders häufig – und welche Antworten haben Sie gemeinsam mit den Unternehmen schon gefunden?

In mehr als zwei Dritteln unserer Beratungsgespräche geht es um Mitarbeiter:innen, die mit einer Schwerbehinderung in ihren Beruf zurückkehren möchten. Die Betriebsleitung muss prüfen, welche Möglichkeiten es dafür gibt: Welche Tätigkeiten kann die Person noch ausführen? Welche Hilfsmittel braucht sie dafür?
Verständlicherweise sind die Verantwortlichen in dieser Situation oft sehr unsicher. Wir schauen uns daher gemeinsam mit ihnen die Arbeitsabläufe an und überlegen, wo und wie sie eine Fachkraft weiter einsetzen könnten. Manchmal können moderne Maschinen helfen, damit jemand an seinen früheren Arbeitsplatz zurückkehren kann.
Manchmal braucht es aber auch ganz neue Lösungen. Im Idealfall können diese einen großen Mehrwert schaffen: Ein Betrieb, den wir beraten haben, setzt zum Beispiel einen erfahrenen Mitarbeiter mit Behinderung jetzt als zusätzlichen Ausbilder ein und bekommt dadurch viel besser geschulte Nachwuchskräfte. Ein anderes Unternehmen hat einen früheren LKW-Reifen-Monteur zur Servicekraft umgeschult. Er fährt nun zu den Kund:innen und prüft deren Fuhrparks, damit die Fahrer:innen für diesen Check nicht extra in die Werkstatt kommen müssen – eine tolle Dienstleistung, die die Kundenbindung stärkt.

#4: Was müsste sich ändern, damit mehr Betriebe Menschen mit Behinderung ausbilden oder einstellen?

Da gibt es verschiedene Ansatzpunkte. Ich glaube, für die Meister:innen müsste manches noch einfacher werden. Wenn ein Betrieb zum Beispiel einen gehörlosen Menschen beschäftigt, sind für manche Besprechungen oder Schulungen Gebärdensprachdolmetscher:innen nötig. Solche Angebote gibt es zwar, sie können aber oft nur mit einem langen zeitlichen Vorlauf gebucht werden, was im Betriebsalltag schwierig ist.

Angehenden Auszubildenden würde ich raten, ihre Schwerbehinderung schon vor der Einstellung offen anzusprechen. Mir ist klar, dass das eine sehr persönliche Entscheidung ist. Es kann jedoch ein Vorteil für beide Seiten sein, wenn das Thema direkt offen auf dem Tisch liegt. Die Betriebsleitung hat dann nämlich die Chance, sich rechtzeitig um eine passende Unterstützung zu bemühen. So lassen sich viele mögliche Schwierigkeiten im Alltag von vornherein verhindern – es wäre schließlich für beide Seiten schade, wenn ein Ausbildungsverhältnis wegen vermeidbarer Hürden abgebrochen werden muss.

Natürlich müssen sich auch die Betriebe bewegen. Viele suchen zum Beispiel ausschließlich nach Fachkräften, was manche Menschen mit Behinderung – je nach schulischer Vorgeschichte – von vornherein ausschließt. Dabei gibt es viele Tätigkeiten, die nach einer guten Einarbeitung auch Menschen ohne eine abgeschlossene Berufsausbildung übernehmen könnten. Es bräuchte dafür aber auch ein Umdenken bei der Arbeitsteilung. Hier müssen insbesondere die Verantwortlichen von wachsenden Betrieben dabei unterstützt werden, Beschäftigungsmöglichkeiten für Menschen mit Behinderung zu ermitteln. Die Chancen für eine Einstellung sind wegen des Fachkräftemangels recht gut, wenn die Anforderungen den Fähigkeiten des Bewerbers entsprechen. Manche Betriebsinhaber:innen sind durch unsere Beratung und erste Erfahrungen dafür inzwischen auch aufgeschlossen. Aber wir brauchen hier noch viel mehr. —




Doppeltes Engagement für Inklusion: Der Sonderpreis „Vorbild Inklusion“ 2023 geht nach Westerkappeln und Plettenberg

Die 14 Mitarbeiter:innen der B.A.C. Bike Assembly Crew GmbH in Westerkappeln bauen individuelle Fahrräder für mehrere Hersteller aus Deutschland. Das Unternehmen sitzt im Norden von NRW und wurde 2018 von Sven Stoffers und Mathis Wortmeier gegründet. In der Firma sind ein hohes technisches Verständnis und genaues Arbeiten gefragt. Und obwohl das Unternehmen wegen seiner geringen Größe eigentlich keine Quoten erfüllen muss, beschäftigt es mittlerweile dennoch vier Menschen mit Behinderung. Hinzu kommen vier Kollegen und Kolleginnen, die auf Außenarbeitsplätzen der Ledder Werkstätten für B.A.C. arbeiten. Perspektivisch sollen noch weitere hinzukommen. Wegen dieses außerordentlichen Engagements belegt das Unternehmen in diesem Jahr den ersten Platz beim Sonderpreis „Vorbild Inklusion“.

Der zweite Platz geht an die Office Point GmbH aus Plettenberg im Sauerland. Cornelia Pallas gründete den Betrieb vor mehr als 20 Jahren. Sie selbst ist an einer fortschreitenden Hörschädigung erkrankt und mittlerweile vollständig taub. Davor arbeitete sie als Bilanzbuchhalterin in einer Führungsposition in einem größeren Industrieunternehmen – die Anforderungen waren aber irgendwann so hoch, dass sie sie nicht mehr erfüllen konnte. Stattdessen machte sie sich selbstständig, damit sie ihre Arbeit zu ihren Bedürfnissen passend organisieren konnte.
Mittlerweile beschäftigt sie sieben Mitarbeiterinnen in der Office Point GmbH. In Schleswig-Holstein betreibt sie außerdem zwei Akustik-Fachgeschäfte mit insgesamt fünf Mitarbeiter:innen. In Plettenberg sind es sieben, drei davon haben eine Behinderung. —




Inklusionsbarometer Arbeit 2022: Situation etwas schlechter als im Vorjahr

Das Gesamtergebnis des Inklusionsbarometers Arbeit (mehr dazu unten) ist etwas schlechter als im letzten Jahr: Der Wert liegt 2022 bei 113,2 im Vergleich zu 114,2 im Vorjahr. Ein Wert über 100 bedeutet aber grundsätzlich, dass sich die Lage verbessert, und das ist erfreulicherweise auch dieses Jahr wieder der Fall. Eine weitere gute Nachricht: Nach Jahren der Krise sinken die Arbeitslosenzahlen wieder. Gleichzeitig ist jedoch die Anzahl der langzeitarbeitslosen Menschen mit Behinderung weiter gestiegen, und zwar um über fünf Prozent im Vergleich zum Vorjahr.

Inklusionsklima schlechter

Beim Inklusionsklima, dem eine repräsentative Umfrage zugrunde liegt, zeigt ein Barometerwert von über 50 grundsätzlich ein positives Klima an. Dieser Wert wurde zwar auch 2017 bei der letzten Erhebung nicht erreicht. Aber er ist dieses Jahr in allen Regionen Deutschlands sogar noch weiter gesunken. Nordrhein-Westfalen etwa war 2017 mit einem Wert von 43,5 noch Spitzenreiter, dieses Jahr lag der Wert nur noch bei 40. Schlusslicht ist und bleibt der Süden Deutschlands mit einem Wert von 38 (im Vergleich zu 40 im Vorjahr).

Weiterhin viel Aufklärungsarbeit nötig

Außerdem stellte sich heraus, dass 41 Prozent der kleinen Unternehmen, die mindestens einen Menschen mit Behinderung beschäftigen, die staatliche Förderung für solche Arbeitsplätze nicht kennen. Das sind zwar zwei Prozent mehr als im Vorjahr, doch zeigt diese eher kleine Veränderung, dass nach wie vor viel Aufklärungsarbeit bei diesem Thema nötig ist. Gerade für kleine Unternehmen spielen finanzielle Fragen aber vermutlich eine große Rolle bei der Überlegung, ob sie einen Arbeitsplatz für einen Menschen mit Behinderung einrichten können oder wollen – daher könnte es sich positiv auswirken, wenn die staatliche Förderung bekannter wäre.

Weitere Fakten im Überblick

  • Wenn einmal ein Arbeitsverhältnis besteht, bleibt es deutlich häufiger auch erhalten als früher. Im Jahr 2021 gab es mit 19.746 so wenig Anträge auf Kündigung von Menschen mit Behinderung wie noch nie seit Erscheinen des ersten Inklusionsbarometers im Jahr 2013. Diese Entwicklung hat sich 2022 weiter stabilisiert. Den größten Fortschritt hat Bayern gemacht. Hier wurden 24,1 Prozent weniger Anträge auf Kündigung gestellt als im Vorjahr.

  • Ganz anders sieht die Situation für Menschen mit Behinderung aus, die doch arbeitslos geworden sind. Im vergangenen Jahr gelang nur drei Prozent von ihnen die Rückkehr auf den Arbeitsmarkt. Bei Menschen ohne Behinderung waren es sieben Prozent. Das heißt: Arbeitslose ohne Behinderung haben eine mehr als doppelt so hohe Chance, eine Wiederanstellung zu finden, als Arbeitslose mit Behinderung.

  • Die Mehrheit der Unternehmen sieht in der Digitalisierung eine Chance für Menschen mit Behinderung auf dem Arbeitsmarkt. Zugleich haben aber nur drei Prozent in Folge der Digitalisierung auch Menschen mit Behinderung eingestellt.

  • Rund 173.000 Unternehmen in Deutschland sind gesetzlich dazu aufgefordert, mindestens fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze mit Menschen zu besetzen, die eine Behinderung haben. Dieser Pflicht kommen aber nur 40 Prozent der Unternehmen im vorgeschriebenen Umfang nach.25 Prozent beschäftigen überhaupt keine Arbeitnehmer:innen mit Behinderung, sondern zahlen stattdessen die sogenannte Ausgleichsabgabe in voller Höhe.

  • Im Kontrast dazu machen die Unternehmen, die Menschen mit Behinderung beschäftigen, vor allem positive Erfahrungen damit: 80 Prozent geben laut der Befragung im Rahmen des Inklusionsklimabarometers an, dass sie keine Leistungsunterschiede zwischen Kolleg:innen mit und ohne Behinderung wahrnehmen.
Grafik mit den wichtigsten Ergebnissen des Inklusionsbarometers Arbeit 2022
Grafik: Aktion Mensch



Patienten-Information.de: Gesundheitsinfos in Leichter Sprache

Was ist eine Essstörung und wie wird sie behandelt? Welche Medikamente helfen bei Asthma und wie werden sie angewendet? Und was sollten Patient:innen beachten, wenn sie ein Antibiotikum einnehmen müssen?
Solche und ähnliche Fragen beantwortet die Website Patienten-Information.de in Leichter Sprache. Medizinische Informationen einfach zu aufzubereiten, ist eine Herausforderung. Denn die Übersetzer:innen müssen gut auswählen, welche Aspekte sie überhaupt aufnehmen, und auch entscheiden, wie stark sie Zusammenhänge vereinfachen wollen und können, um sie in Leichte Sprache zu übersetzen.

Wie die Verantwortlichen damit umgehen und warum die Übersetzer:innen für die fertigen Texte in Leichter Sprache manchmal auch kritisiert werden, lest ihr in diesem Interview.




Wie offen gehe ich am Arbeitsplatz mit meiner Behinderung um? Ein Selbsttest hilft bei der Entscheidung

Laut Deutschem Gewerkschaftsbund (DGB) verschweigen viele Menschen mit Schwerbehinderung diese am Arbeitsplatz lieber – aus Angst vor Nachteilen. Andersherum können Arbeitgeber:innen ihren Pflichten gegenüber Angestellten mit Behinderung nur dann nachkommen, wenn sie darüber Bescheid wissen. Eine Zwickmühle, die auch rechtlich nicht eindeutig geklärt ist.

Gerade wer keine sichtbare Behinderung hat, steht im Laufe der Karriere wahrscheinlich irgendwann vor der Entscheidung: Sag ich’s – oder nicht? Die Antwort auf diese Frage hängt von vielen verschiedenen Faktoren und der individuellen Lebenssituation ab.
Die Uni Köln hat im Rahmen eines Forschungsprojektes einen Selbsttest für Menschen mit chronischer Erkrankung oder Schwerbehinderung im Job entwickelt, um bei der Entscheidung zu helfen. Der Test steht kostenlos auf der Website „Sag ich’s? Chronisch krank im Job“ zur Verfügung und fragt detailliert ab, wie die persönliche und die berufliche Situation aussieht. Zum Beispiel: Wie ist das Verhältnis zu Vorgesetzten, Kolleg:innen, Arbeitgeber:innen? Was sind die persönlichen Bedürfnisse am Arbeitsplatz, was ist dort schon vorhanden? Wie gehe ich anderen gegenüber mit für mich sehr persönlichen Informationen um? Wie wichtig ist es mir, ich selbst sein zu können? Wenn ich anderen gegenüber offen war, welche Erfahrungen habe ich damit gemacht?

Die Testergebnisse werden am Schluss sofort anschaulich mit einer Auswertung aufbereitet und können auch als PDF heruntergeladen werden. Außerdem gibt es hilfreiche Tipps für weitere Beratung und Unterstützung.




Inklusionsunternehmen im Gespräch: Folge 4 des Live-Talk-Formats „Stark für Inklusion“

Inklusionsunternehmen sind eigentlich gewöhnliche Betriebe. Sie wirtschaften also gewinnorientiert und müssen auf dem freien Markt bestehen. Anders als andere Unternehmen setzen sie dabei aber besonders auf Vielfalt und stellen die Stärken ihrer Mitarbeiter:innen bewusst in den Vordergrund, anstatt auf Schwächen und Defizite zu schauen.
In Inklusionsbetrieben arbeiten Menschen mit und ohne Schwerbehinderung gleichberechtigt und auf sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätzen zusammen. Außerdem ist der Anteil der Belegschaft mit Schwerbehinderung mit 30 bis 50 Prozent besonders groß.

In Westfalen gibt es aktuell rund 170 solcher Betriebe, die insgesamt rund 4.300 Menschen beschäftigen. 2.200 davon haben eine Schwerbehinderung. Weil die Firmen damit einen sehr wichtigen Beitrag zur Inklusion auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt leisten, werden sie besonders gefördert und unterstützt.
Wie genau das funktioniert und was die aktuelle Situation ist, erklären Michael Wedershoven und Ulrich Adlhoch im Interview:




„Die Beratung soll immer eine Begegnung auf Augenhöhe sein“

Frau Gühne, was unterscheidet Ihr Projekt von anderen Beratungsangeboten?

Wir bieten Eins-zu-eins-Patenschaften an, dadurch ist die Beratung sehr individuell. Und wir setzen keine zeitliche Grenze. Es dauert so lange, wie eine Person eben Unterstützung braucht. So etwas bieten sonst eigentlich nur professionelle Coaches an, die dafür aber hohe Honorare abrechnen. Unser Angebot dagegen ist für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kostenlos. Das Projekt wird nämlich von der Aktion Mensch gefördert.

Wie unterstützen die Jobpatinnen und -paten Menschen mit Behinderung?

Das hängt ganz davon ab, welche Ziele die oder der Arbeitssuchende hat. Für viele steht an erster Stelle, sich im Berufsleben neu zu orientieren, weil sie wegen einer Erkrankung ihren Job aufgegeben oder ihre Ausbildung unterbrochen haben. Wenn jemand wegen eines Burnouts oder einer Depression pausiert hat, geht es oft um die Frage: Gehe ich zurück in meinen Beruf oder komme ich mit einer Erwerbsminderungsrente aus? Manchmal kann das Ziel auch sein, als Ergänzung zur Erwerbsminderungsrente ein passendes Ehrenamt zu finden. Das ist also wirklich ganz unterschiedlich. Deshalb beginnt die Beratung auch immer damit, dass die Teilnehmer:innen und die Pat:innen zusammen das Ziel ganz klar formulieren. Anschließend suchen sie gemeinsam nach passenden Stellenangeboten, schreiben Bewerbungen oder recherchieren, welche Fort- oder Weiterbildung ein guter nächster Schritt wäre.

Für wen ist das Angebot gedacht?

Wir haben die Zielgruppe bewusst weit gefasst. Bei uns können sich Menschen mit Behinderung, einer seelischen Erkrankung oder anderen Einschränkungen anmelden. Und zwar ausdrücklich auch dann, wenn sie ihre Schwerbehinderung nicht haben anerkennen lassen oder gerade noch darüber nachdenken, ob sie das tun wollen. Manche Menschen entscheiden sich bewusst dagegen. Aber das ist kein Hindernis, sie können trotzdem am Projekt teilnehmen.

Wer sind die Patinnen und Paten?

Einige unserer Pat:innen sind schon im Ruhestand, die meisten stehen aber selbst noch im Berufsleben. Sie haben ganz unterschiedliche Jobs. Neben Unternehmensberater:innen und Coaches sind zum Beispiel auch ein Polizist und eine Kapitänin und Nautikerin dabei. Das sind tolle Leute und es macht mir viel Spaß, mit ihnen zu arbeiten. Die meisten hatten vor dem Projekt gar keinen Bezug zur Zielgruppe. Sie möchten einfach etwas in die Gesellschaft zurückgeben und Menschen unterstützen, die es nicht so einfach haben. Viele finden es auch spannend, andere Menschen kennenzulernen und über ihren eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Und für manche ist es eine Motivation, in unserem Projekt Fähigkeiten einzubringen, die sie in ihrem Beruf nicht einsetzen können.

Gibt es eine Art Einstiegsvoraussetzung für dieses Ehrenamt?

Ich treffe mich mindestens zweimal mit allen Interessent:innen, um über das Projekt und das Ehrenamt zu sprechen. Anschließend nehmen die Pat:innen an einer Einstiegsqualifizierung teil, bei der wir ihnen ein paar Tipps für die Beratung geben. Wir haben außerdem einen Ehrenkodex, der für alle gilt. Wir achten zum Beispiel sehr auf Pünktlichkeit und auf Respekt für religiöse, sexuelle und herkunftsbezogene Besonderheiten. Die Beratung soll immer eine Begegnung auf Augenhöhe sein. Unsere Pat:innen sind also handverlesen. Für die Teilnehmer:innen in unserem Projekt geht es ja um sehr wichtige Entscheidungen. Das kann manchmal auch für Pat:innen eine große Herausforderung sein. Wir bieten ihnen deshalb regelmäßig Workshops an, bei Bedarf auch eine Supervision.

Zu Ihrem Projekt gehören auch Weiterbildungen für Menschen mit Behinderung. Um welche Themen geht es dabei?

In unserem Einstiegsworkshop informieren wir über die Rechte von Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt. Viele wissen darüber nämlich recht wenig. Wir beantworten in dem Kurs deshalb ganz grundlegende Fragen: Muss ich meine Behinderung offenlegen, wenn ich mich auf eine Stelle bewerbe? Wie viele Urlaubstage bekomme ich? Ist es sinnvoll, meine Schwerbehinderung anerkennen zu lassen? Wie viel Rente werde ich später bekommen?
Wir bieten außerdem Workshops an, in denen die Teilnehmer:innen lernen, auch in Stresssituationen achtsam mit sich umzugehen und sich nicht so stark unter Druck zu setzen. So etwas ist ja sehr wichtig, um im Beruf erfolgreich und auch glücklich zu sein. Und ein- oder zweimal im Monat können sich die Teilnehmenden bei uns treffen, sich bei einem Kaffee kennenlernen und sich untereinander austauschen.

Wie viele Menschen haben mit Hilfe der „Jobbrücke“ schon eine neue Stelle gefunden?

Wir sind Anfang 2020 gestartet und bekommen drei Jahre lang Fördergelder von der Aktion Mensch. Das Ziel ist, insgesamt 75 Teilnehmer:innen zu erreichen. 2020 haben sich 25 Menschen angemeldet, das ist eine gute Zwischenbilanz.
Mit den Bewerbungen lief es durch die Corona-Pandemie natürlich etwas schleppender an als erwartet. Drei Menschen haben aber schon Arbeitsverträge unterschrieben und sind glücklich in ihren neuen Jobs. Einer von ihnen hat sogar die Aussicht, in seinem Unternehmen später eine Weiterbildung zu machen. Ein anderer Teilnehmer hat eine Ausbildung begonnen. Einige weitere wollen noch ihre Corona-Impfung abwarten, bevor sie einen neuen Job anfangen. Und bei den übrigen läuft die Patenschaft derzeit noch, sie brauchen noch etwas Zeit.

Wie sind Sie zu Ihrem Job bei dem Projekt gekommen?

Ich bin Seiteneinsteigerin, deshalb war ich gewissermaßen prädestiniert für diese Stelle. Ich habe mich nämlich auch ganz neu orientiert, als ich Anfang 40 war. Bis dahin hatte ich viele Jahre lang in der Kulturbranche gearbeitet und wollte gerne in einen sozialen Beruf wechseln. Dafür habe ich eine Ausbildung im Bereich Social Marketing und Fundraising gemacht. Ein Job soll ja Spaß machen und erfüllend sein – das gilt für mich genauso wie für die Menschen, die wir hier beraten. —




FAQ für Unternehmen und Betriebe: Beratungskompass Inklusion

In unserem Fundstück der Woche zum Welttag des Downsyndroms am 21. März 2021 wurde in einem kurzen Film zu einem Song des Sängers Sting deutlich, warum Inklusion in der Wirtschaft so wichtig ist: Wenn es normaler wird, dass Menschen mit Schwerbehinderung in allen Branchen arbeiten und vor allem sichtbar sind, werden auf Dauer immer mehr Unternehmer:innen folgen – und die Gesellschaft wird damit insgesamt inklusiver.

An fehlenden Informationen sollte das keinesfalls scheitern. Deshalb hat das Projekt „Wirtschaft inklusiv“ der Bundesarbeitsgemeinschaft ambulante berufliche Rehabilitation e.V. den Beratungskompass Inklusion aufgebaut.
Der Kompass ist eine Art FAQ (Abkürzung für „Frequently Asked Questions“, Auf Deutsch: „Häufig gestellte Fragen“), der viele detaillierte Fragen rund um die Eingliederung, Anstellung, Ausbildung, Förderung und Beschäftigung von Menschen mit Schwerbehinderung beantwortet.
Zum Beispiel: Wo finde ich geeignete Bewerberinnen und Bewerber für eine neue Stelle in meinem Unternehmen? Welche Zuschüsse gibt es und für was? Und was muss ich beachten, wenn ich einen Ausbildungsplatz für einen Menschen mit Schwerbehinderung schaffen möchte?

Ein Tipp: Ihr könnt beim Beratungskompass oben auch freie Suchbegriffe eingeben und schauen, ob es im Beratungskompass einen Treffer dazu gibt.




Mit den Fingern lesen: 7 Fragen und Antworten zur Brailleschrift

#1: Was ist Brailleschrift?

Braille ist eine taktile (also tastbare) Punktschrift. Die
Schriftzeichen sind aus kleinen, erhabenen Punkten zusammengesetzt, die von der
Rückseite aus in das Papier gedrückt sind. Blinde und Menschen mit Sehbehinderung
können diese Punkt-Buchstaben mit den Fingern ertasten und so Texte oder ganze
Bücher lesen.


#2: Hat die Brailleschrift die gleichen Buchstaben wie
das moderne lateinische Alphabet?

Ja, für jeden Buchstaben des Alphabets gibt es in der Brailleschrift eine Punktkombination. Das Raster, nach dem die Punkte angeordnet sind, wird oft mit einem senkrecht stehenden Eierkarton verglichen: Es gibt zwei Spalten und drei Reihen. Also können höchstens zwei Punkte nebeneinander und drei übereinander stehen. Pro Braillezeichen werden in diesem Raster nur an bestimmten Stellen Punkte platziert. Je nach Kombination ergeben sich daraus verschiedene Buchstaben, Umlaute und Satzzeichen.


#3: Gibt es die Blindenschrift auch in anderen Sprachen?

Alle Sprachen, für die es Schriftzeichen gibt, können auch in
Brailleschrift dargestellt werden. Sie wird von blinden Menschen auf der ganzen
Welt benutzt – zum Beispiel gibt es ganz eigene Punktkombinationen für das
russische Alphabet, für chinesische Schriftzeichen und für die Umlaute oder
andere Sonderzeichen der verschiedenen europäischen Sprachen. Sie alle werden immer
in dem einfachen Sechs-Punkte-Raster dargestellt, das Louis Braille entwickelt
hat.


#4: Wo gibt es Bücher in Brailleschrift zu kaufen oder zu leihen?

In Deutschland bieten mehrere große Bibliotheken verschiedene Bücher und Noten in deutscher Blindenschrift, aber auch Hörbücher oder Hörfilme zum Leihen oder Kaufen an. Drei Beispiele sind das Deutsche Zentrum für barrierefreies Lesen (dzb lesen), der Verein „Norddeutsche Hörbücherei“ und das Bundesweite Kompetenzzentrum für Menschen mit Blindheit und Sehbehinderung (blista). Sie alle verschicken Leihbücher auch an blinde Leserinnen und Leser, die weiter weg wohnen. Übrigens befördert die Deutsche Post Briefe und Päckchen mit Literatur in Brailleschrift bis zu einem Gewicht von sieben Kilogramm kostenlos.


#5: Sind Bücher in Brailleschrift größer als Bücher in
gedruckter Schrift?

Ja, weil Braillezeichen viel höher und breiter sind als „Schwarzschrift“, wie gedruckte Buchstaben von Braille-Nutzerinnen und -Nutzern genannt werden. Punktschriftzeichen müssen deshalb in größerem Abstand zueinander stehen. Für ein Buch in Brailleschrift wird auch dickeres Papier benötigt, damit die Punkte erhaben genug und damit gut zu ertasten sind. Bücher in Blindenschrift sind also deutlich größer und schwerer als Bücher, in denen die gleichen Texte in Schwarzschrift abgebildet sind. Ein Beispiel: Das erste Buch der Harry-Potter-Reihe in Brailleschrift umfasst vier dicke Bände. Wie ein Braille-Buch entsteht, könnt ihr übrigens bei der Schweizerischen Bibliothek für Blinde, Seh- und Lesebehinderte nachlesen.


#6: Wie lesen und arbeiten blinde Menschen ohne Papier –
also am Computer oder mit dem Smartphone?

Am Computer wird meist eine Braillezeile verwendet, auch
Brailledisplay genannt. Das flexible Gerät übersetzt mit einer speziellen
Software den Text auf dem Bildschirm in Punktschrift. Dem jeweiligen
Punkteraster entsprechend springen auf der Braillezeile kleine Stifte nach oben.
So können Blinde Texte lesen und im Internet surfen. Manche Menschen lassen
sich den Text, der gerade auf dem Bildschirm zu sehen ist, auch gleichzeitig über
eine sogenannte Screenreader-Software vorlesen. Damit funktioniert übrigens
auch das Lesen auch auf dem Smartphone.


#7: Wie entstehen selbst geschriebene Brailletexte?

Wenn ein Text vom Computer auf Papier übertragen werden
soll, kann dafür ein Brailledrucker verwendet werden, der einfach mit einem
Kabel angeschlossen wird. Eine Software übersetzt den getippten Text in
Braillezeichen, der Drucker prägt die Punkte ins Papier. Darüber hinaus gibt es
auch mechanische und elektrische Braille-Schreibmaschinen. Sie sehen so ähnlich
aus wie die Apparate, mit denen früher Texte in Schwarzschrift auf Papier
getippt wurden. Eine Braille-Schreibmaschine hat allerdings nur sieben Tasten: Je
eine für die insgesamt sechs Punkte, mit denen Buchstaben verschlüsselt werden
können, und eine Leertaste.





8 Fragen und Antworten zur Leichten Sprache

#1: Was ist die Leichte Sprache?

Die Leichte Sprache ist eine leicht verständliche Sprache, die geschrieben und auch gesprochen werden kann. Sie ist vor allem für Menschen mit Lernschwierigkeiten gedacht (früher: „Menschen mit geistiger Behinderung“), die Texte in der (schwierigeren) Alltagssprache nicht oder nicht gut lesen und verstehen können.


#2: Gibt es feste Regeln für die Leichte Sprache?

Ja, es ist genau festgelegt, wie Texte in Leichter Sprache geschrieben werden sollen. Die wichtigsten Regeln sind: Sätze sollen kurz sein und keine Fach- oder Fremdwörter enthalten. Zusammengesetzte Wörter werden getrennt geschrieben und mit einem Bindestrich oder einem Punkt verbunden, zum Beispiel „Bundes-Regierung“ oder „Bundes·regierung“. Außerdem sollten möglichst viele Fotos und Bilder verwendet werden, die beim Verstehen helfen.


#3: Sind Leichte Sprache und Einfache Sprache dasselbe?

Nein, die beiden Sprachformen sind unterschiedlich anspruchsvoll. Die Leichte Sprache entspricht dem Level A1 des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens für Sprachen – also ungefähr einem Anfängerkurs für Menschen ohne Deutschkenntnisse. Die Einfache Sprache liegt zwischen der Leichten Sprache und der Alltagssprache, sie entspricht ungefähr dem Level A2/B1 (Anfänger mit Vorkenntnissen/Fortgeschrittene). Sie ist für Menschen gedacht, die aus verschiedenen Gründen mit dem Lesen und Schreiben Probleme haben.


#4: Welche Texte gibt es in Leichter Sprache?

Viele öffentliche Einrichtungen und Institutionen, zum Beispiel die Deutsche Bundesregierung, veröffentlichen Informationen in Leichter Sprache auf ihren Internetseiten oder in Broschüren. Es gibt aber auch viele Bücher mit Geschichten, die in die Leichte oder die Einfache Sprache übertragen wurden, zum Beispiel hier oder hier.


#5: Gibt es auch andere Sprachen in vereinfachter Form, zum Beispiel Leichtes Englisch?

Ja, viele europäische Sprachen gibt es auch in einer vereinfachten Form. Leichtes Englisch heißt zum Beispiel „Easy to read“ (Übersetzung: „Leicht zu lesen“) und wird in den USA und in Großbritannien verwendet. Auch in Frankreich, den Niederlanden, Skandinavien und vielen weiteren Ländern ist die Leichte Sprache schon lange anerkannt.


#6: Wie entstehen Texte in Leichter Sprache?

Ähnlich wie für Fremdsprachen gibt es auch für die Leichte Sprache Übersetzerinnen und Übersetzer. Sie werden von Institutionen, Organisationen oder Verlagen beauftragt. Bevor sie anfangen, einen Text in die Leichte Sprache zu übertragen, fassen sie den Inhalt grob zusammen. Dabei achten sie vor allem darauf, welche Informationen für Menschen mit Lernschwierigkeiten besonders wichtig sind und was wegfallen kann, damit der Text in Leichter Sprache nicht zu lang wird. Für ein gutes Ergebnis besprechen die Übersetzerinnen und Übersetzer die wichtigen Inhalte am besten mit Prüferinnen und Prüfern für Leichte Sprache (siehe #7).


#7: Woher wissen die Übersetzerinnen und Übersetzer, wann Menschen mit Lernschwierigkeiten einen Text gut verstehen können?

Wenn ein Text in die Leichte Sprache übertragen wurde, lesen ihn anschließend Prüferinnen und Prüfer mit Lernschwierigkeiten. Sie kontrollieren, wie gut die Übersetzung ist. Verstehen sie einen Satz oder den ganzen Text nicht, müssen die Übersetzerinnen und Übersetzer ihn noch einmal überarbeiten.


#8: Gibt es auch Kritik am Konzept der Leichten Sprache?

Ja, einige Politiker und Journalistinnen haben zum Beispiel kritisiert, dass bei der Übertragung in die Leichte Sprache Inhalte weggelassen oder zu stark vereinfacht erklärt werden. Oft kennen sich Kritikerinnen und Kritiker aber gar nicht richtig mit der Leichten Sprache aus: Sie wissen nicht, dass Menschen mit Lernschwierigkeiten genau diese Vereinfachungen brauchen, um einen Text überhaupt zu verstehen.