20 Millionen Euro Soforthilfe: Aktion Mensch unterstützt Helferinnen und Helfer in der Corona-Pandemie

Indirekt sollen mit dem Soforthilfe-Programm der Aktion Mensch zum Beispiel Menschen mit Behinderung während der Corona-Krise unterstützt werden, deren Pflege- und Assistenzkräfte aktuell ausfallen, aber auch sozial schlechter gestellte Menschen, die derzeit nicht mehr mit Lebensmitteln versorgt werden können.

Das Soforthilfe-Angebot richtet sich an Organisationen und Vereine, die in den Bereichen der Persönlichen Assistenz oder der Lebensmittelversorgung für sozial und wirtschaftlich Benachteiligte tätig sind – zum Beispiel Ambulante Dienste oder Tafeln. Einzige Voraussetzung für einen Antrag: Die jeweilige Organisation muss frei und gemeinnützig organisiert sein und ihren Sitz in Deutschland haben.

Details und die Antragsformulare zu den beiden Soforthilfe-Programmen findet ihr hier: aktion-mensch.de/corona




Inklusion auf dem Arbeitsmarkt: Private Unternehmen in der Pflicht

Obwohl es mit der Inklusion auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt im Verhältnis zu den vergangenen Jahren aufwärts geht, gibt es offenbar vor allem in Nordrhein-Westfalen Nachholbedarf. Hier waren laut der Neuen Westfälischen (NW) zuletzt rund 13 Prozent aller Menschen mit Behinderung, die dem Bundesland leben, arbeitslos gemeldet. Die bundesweite Quote liegt bei 11,2 Prozent.

Der Sozialverband VdK sieht die Ursache dafür vor allem bei privaten Arbeitgebern, „die ihrer gesetzlichen Beschäftigungspflicht [von Menschen mit Behinderung (Anmerkung der Redaktion)] nicht oder nur unzureichend nachkommen“. Der Hintergrund: Bei öffentlichen Arbeitgebern in der Region hätten durchschnittlich 6,5 Prozent der Belegschaft eine Behinderung, während die privaten Unternehmerinnen und Unternehmer im Durchschnitt nur 4,4 Prozent erreichten.
Diesen Zustand und den Umgang der Wirtschaft generell mit dem Thema Beschäftigungsquote insgesamt kritisierte der SoVB kürzlich bei einer Anhörung im NRW-Landesparlament.

Die Zusammenhänge und Details dazu hat die Neue Westfälische in diesem Artikel zum Thema zusammengefasst und kritisch kommentiert. Unser Fundstück der Woche!




Welche Aufgaben hat eine Fachstelle „Behinderte Menschen im Beruf“?

Herr Simon, Frau Sundermeier, in Nordrhein-Westfalen gibt es insgesamt 53 Fachstellen „Behinderte Menschen im Beruf“. An wen richtet sich das Beratungsangebot dieser Einrichtungen?

Olaf Simon (OS): Die Fachleute dort beraten vor allem Menschen mit Schwerbehinderung und ihre Arbeitgeber, aber auch Schwerbehindertenvertretungen, Betriebs- und Personalräte und Menschen, die sich in Unternehmen um die Inklusion und das Betriebliche Eingliederungsmanagement kümmern. Wir unterstützen zum Beispiel Angestellte und Arbeitgeberinnen dabei, Arbeitsplätze behinderungsgerecht auszustatten oder Abläufe so zu organisieren, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Behinderung ihren Job gut machen können.

Linda Sundermeier (LS): Unser Ziel ist es, Arbeitsplätze zu erhalten und Schwierigkeiten oder Konflikte so früh wie möglich zu lösen. Dafür besuchen wir Menschen mit Behinderung auch im Unternehmen, schauen uns die Arbeitsplätze an und geben Tipps. Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber, die einen Menschen mit Behinderung beschäftigen und Unterstützung brauchen, können sich jederzeit an uns wenden. Unsere Beratung ist immer kostenlos.

Stehen Betrieben finanzielle Zuschüsse zu, wenn sie einen Arbeitsplatz für eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter mit Behinderung umgestalten möchten?

LS: Ja, wenn die oder der Angestellte mindestens 15 Stunden pro Woche im Unternehmen arbeitet, können die Fachstellen individuell angepasste Hilfsmittel fördern. Das kann zum Beispiel ein Telefonverstärker für einen Menschen mit Hörbehinderung sein oder eine Kühlweste für jemanden, der an Multipler Sklerose erkrankt ist. Darüber hinaus können Unternehmen auch weitere Zuschüsse vom Staat beantragen, wenn sie einen Arbeitsplatz oder die Zugänge zum Gebäude barrierefrei umbauen.

OS: Das Geld dafür stammt übrigens aus der Ausgleichsabgabe. Das ist ein Betrag, den alle Betriebe zahlen müssen, die nicht wie gesetzlich vorgeschrieben mindestens fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze an Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Behinderung vergeben haben. Diese Regelung gilt bei Betrieben mit mindestens 20 Angestellten. In Nordrhein-Westfalen wird die Ausgleichsabgabe vom Landschaftsverband Westfalen-Lippe und vom Landschaftsverband Rheinland verwaltet und von den Fachstellen ausgezahlt. Manchmal sind auch die Deutsche Rentenversicherung oder die Agentur für Arbeit zuständig, die Geld aus weiteren Töpfen auszahlen können. Mit diesen Kostenträgern tauschen wir uns regelmäßig aus. Außerdem stehen wir in engem Kontakt mit anderen Einrichtungen wie dem Präventionsfachdienst Sucht und Psyche, dem LWL-Inklusionsamt Arbeit und den Integrationsfachdiensten.

Angenommen, ein Unternehmen möchte bei Ihnen einen Zuschuss für einen behinderungsgerechten Arbeitsplatz beantragen. Wie funktioniert das genau?

LS: Zuerst vereinbaren wir einen Beratungstermin und schauen uns den Arbeitsplatz direkt im Betrieb an, um den es geht. Bei Bedarf werden wir dabei von Kolleginnen oder Kollegen unterstützt, die entweder aus den Fachdiensten für Menschen mit Seh- oder Hörbehinderung oder vom Technischen Beratungsdienst des LWL-Inklusionsamtes Arbeit dazukommen. Vor Kurzem hat beispielsweise jemand Kontakt mit mir aufgenommen, der infolge eines Hirntumors eine Sehbehinderung entwickelt hatte. Nach der medizinischen Therapie ging es ihm zwar wieder besser, er konnte aber trotzdem nicht gleich an seinen Arbeitsplatz in einem Büro zurückkehren. Eine Kollegin vom Fachdienst für Menschen mit Sehbehinderung und ich haben ihm und seinem Arbeitgeber daher empfohlen, einige Hilfsmittel anzuschaffen: einen Monitorschwenkarm, mit dem der Mitarbeiter seinen Computerbildschirm flexibel bewegen und näher zu sich heranziehen kann, eine Tastatur mit hohem Kontrast und sehr großen Buchstaben und eine Software, die ihm den Mauszeiger auf dem Bildschirm besser anzeigt. Für all diese Hilfsmittel kann der Arbeitgeber bei uns nun Zuschüsse beantragen.

Werden die Kosten für solche Hilfsmittel komplett übernommen?

LS: In diesem Fall ja, weil sie als Nachteilsausgleiche für einen Mitarbeiter mit Behinderung dienen. Meistens müssen die Unternehmen aber einen Eigenanteil zahlen, etwa dann, wenn ein Hilfsmittel auch den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Betrieb zugutekommt, die keine Behinderung haben. Ein Beispiel: Ein Industriebetrieb möchte für einen Lagerarbeiter mit einer Rückenerkrankung einen elektrischen Hubwagen anschaffen. Der Mitarbeiter ist auf diesen Hubwagen zwar angewiesen, die Anschaffung ist aber auch grundsätzlich vorteilhaft für das gesamte Unternehmen, weil auch alle anderen Kollegen nicht mehr so häufig schwere Lasten heben müssen. Der Arbeitgeber müsste in diesem Fall einen Teil der Kosten selbst übernehmen. Wie hoch der Zuschuss seitens der Fachstellen ausfällt, hängt außerdem davon ab, wie viele Menschen mit Behinderung das Unternehmen beschäftigt, ob es also die gesetzlich vorgeschriebene Quote von fünf Prozent erfüllt.

Können Sie auch dann weiterhelfen, wenn eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter mit Behinderung einen Konflikt innerhalb des Teams oder mit dem Arbeitgeber hat?

OS: Wir beraten auch bei solchen Schwierigkeiten, ja. In diesen Fällen suchen wir erst einmal das Gespräch und bemühen uns, zwischen den Parteien zu vermitteln. Bei Bedarf werden wir dabei vom Integrationsfachdienst unterstützt.

Was passiert, wenn sich ein Konflikt nicht lösen lässt und der Arbeitgeber einem Menschen mit Behinderung kündigen möchte?

OS: Für Menschen mit Schwerbehinderung gilt ein besonderer Kündigungsschutz. Das LWL-Inklusionsamt Arbeit muss einer solchen Kündigung nämlich erst einmal zustimmen. Wenn ein Unternehmen eine entsprechende Entlassung beantragt, schauen wir uns den Fall im Auftrag des Inklusionsamts sehr genau an. Wir sprechen mit der Mitarbeiterin oder dem Mitarbeiter, den Vorgesetzten und der Schwerbehindertenvertretung. Bei Bedarf holen wir auch externe Gutachten ein. Wir gehen jeden Fall neutral an, unser Ziel ist aber natürlich, dass alle Beteiligten sich gut einigen und das Arbeitsverhältnis idealerweise bestehen bleibt.

Unterstützen Sie auch Menschen mit Behinderung auf ihrem Berufsweg, die selbstständig arbeiten oder sich selbstständig machen möchten?

LS: Natürlich, Selbstständigen stehen dieselben Zuschüsse für Hilfsmittel zu wie Angestellten oder Beamten. Außerdem können angehende Gründerinnen und Gründer mit einer Behinderung ein Darlehen oder einen Zinszuschuss für ihr Unternehmen beantragen. Wir helfen zum Beispiel, wenn sich jemand als Steuerberater selbstständig machen und sein Büro einrichten möchte. Solche Darlehen gibt es übrigens auch für bereits aktive Selbstständige, die im laufenden Betrieb in ihr Unternehmen investieren wollen.


Über unsere Interviewpartner:innen





Zahl des Jahres: 1,27 Millionen

Seit 2013 untersucht die Aktion Mensch für ihr Inklusionsbarometer Arbeit jedes Jahr zusammen mit dem Handelsblatt Research Institute, wie sich die berufliche Inklusion auf dem deutschen Arbeitsmarkt entwickelt.

Mit den aktuellen Ergebnissen setzt sich nun der positive Trend der letzten Jahre fort: Die Zahl der Menschen mit Behinderung, die eine Stelle auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt haben, steigt stetig an (2015: 1,15 Mio., 2016: 1,18 Mio., 2017: 1,23 Mio., 2018: 1,25 Mio.). Wie die Aktion Mensch diese Zahlen genau ermittelt, haben wir hier erklärt.

Auch die Arbeitslosenquote sinkt

Eine weitere schöne Nachricht: Die Arbeitslosenquote ist erneut gesunken und liegt jetzt bei 11,2 Prozent (2018: 11,7 Prozent, 2017: 12,4 Prozent).
Der Wert des so genannten Lagebarometers ist deshalb auch von 107,2 auf 107,7 Punkte gestiegen. Mit dieser Zahl beschreibt die Aktion Mensch in der Studie, wie sich die berufliche Inklusion insgesamt entwickelt: Sinkt der Wert unter 100, bedeutet das eine Verschlechterung; Werte über 100 Punkten zeigen eine Verbesserung an.

Die Ergebnisse des Inklusionsbarometers Arbeit als Grafik mit Text.
Die Ergebnisse des Inklusionsbarometers 2019 in der Übersicht. Illustration: Aktion Mensch

„Trotzdem Handlungsbedarf“

Die Inklusion auf dem Arbeitsmarkt ist also weiter im Aufschwung. Dennoch gibt es noch eine Menge zu tun, sagt die Aktion Mensch. Die Arbeitslosenquote von Menschen mit Behinderung ist beispielsweise nach wie vor mehr als doppelt so hoch wie bei Menschen ohne Behinderung (11,2 Prozent im Vergleich zu 5,2 Prozent). Außerdem waren Menschen mit Behinderung im Jahr 2019 im Schnitt 359 Tage (2018: 366 Tage) auf Jobsuche – das sind 100 Tage mehr als Menschen ohne Behinderung.




Vier Fragen an… Gregor Doepke, kommmitmensch-Kampagne

#1: Herr Doepke, wen möchten Sie mit Ihrer Kampagne ansprechen – und was möchten Sie erreichen?

„kommmitmensch“ richtet sich an Betriebe und öffentliche Einrichtungen. Unser Ziel ist es, dort für sichere Arbeitsplätze der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu sorgen und ihnen dabei zu helfen, gesund zu bleiben. Damit das gelingt, müssen alle im Unternehmen dieses Thema im Kopf haben: Wie können wir schwere oder sogar tödliche Arbeitsunfälle vermeiden? Wie können wir aus Fehlern lernen und was können wir tun, damit sie gar nicht erst passieren? Leben auch die Vorgesetzten im Unternehmen vor, dass ihnen Sicherheit und Gesundheit wichtig sind? Unsere Kampagne besteht nicht nur aus einzelnen Aktionen, sondern soll einen echten Kulturwandel in möglichst vielen Betrieben anstoßen.

#2: Wie unterstützen Sie Betriebe und Organisationen bei diesem „Kulturwandel“?

Oft beginnt damit ein längerer Prozess, den die Mehrzahl der Beteiligten aber als spannend empfinden und für den sie gerne bereit sind, sich zu engagieren. Ein Beispiel: Wir stellen auf unserer Website eine Toolbox bereit, also eine Art „Werkzeugkasten“ zum Mitmachen. Darin sind etwa ein Arbeitsposter und Fragekarten für den „kommmitmensch-Dialog“ enthalten. Die Fragekarten werden gern genutzt und sind dazu gedacht, im Team eines Betriebs oder innerhalb einer Gruppe von Vertreterinnen und Vertretern der Abteilungen ein Gespräch anzuregen: Wo wünscht sich wer welche Veränderungen? Welche Verbesserungsmöglichkeiten sehen die Beteiligten – und wo genau?
Mit den Karten und unseren anderen kostenfreien Tools können Betriebe herausfinden, welchen Stellenwert Sicherheit und Gesundheit in ihrer Unternehmenskultur aktuell schon haben.
Dabei kann manchmal herauskommen, dass die Verantwortlichen erst dann reagieren, wenn schon ein Unfall passiert ist – das wäre im Sinne der Prävention zu spät, dann sollten im Betrieb möglichst schnell entsprechende Veränderungen angestoßen werden. Vielleicht kümmern sich aber auch schon jetzt alle Verantwortlichen im Betrieb gemeinsam darum, dass es den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern richtig gut geht und sie sich wohl fühlen. Das wäre der Optimalzustand. Dafür muss ein Unternehmen zwar einiges investieren, aber es gewinnt dabei auch: gesunde und zufriedene Mitarbeiter nämlich. Und die schaffen erwiesenermaßen mehr und leisten bessere Arbeit.

#3: Welche Rolle spielt das Thema Barrierefreiheit am Arbeitsplatz bei Ihrer Kampagne?

Die Schwerpunkte von „kommmitmensch“ sind zwar Gesundheit und Sicherheit, diese Themen hängen aber sehr eng mit Barrierefreiheit zusammen. Menschen mit einer Behinderung oder einer chronischen Erkrankung brauchen als „Grundausstattung“ ohnehin erst einmal eine barrierefreie Arbeitsumgebung, damit sie ihren Job überhaupt machen können und erfolgreich sind. Ein gemeinsames Arbeiten auf Augenhöhe trägt zu einem guten Betriebsklima bei – und das ist sehr wichtig, um gesund zu bleiben.
Das gleiche gilt übrigens auch für Veranstaltungen wie etwa Messen oder Seminare. Auch die müssen barrierefrei gestaltet sein, damit wirklich jeder teilnehmen und sich einbringen kann. Viele Organisatorinnen und Organisatoren haben bei der Planung vor allem die Gäste ihrer Veranstaltungen im Blick. Wir raten dazu, unbedingt auch an die Menschen zu denken, die auf der Bühne eine Aufgabe übernehmen: Gibt es Headsets für die Vortragenden, die kein Mikrofon festhalten können? Stehen höhenverstellbare Stehpulte und nicht zu steile Rampen für Menschen mit Rollstuhl bereit? Solche und viele andere Tipps haben wir in einer Broschüre zusammengetragen, die kostenlos bei uns heruntergeladen werden kann.

#4: Ihrer Erfahrung nach: Haben Veranstalterinnen und Veranstaltern das Thema Barrierefreiheit schon gut im Kopf – oder sehen Sie noch Verbesserungsbedarf?

Viele haben das Thema ganz gut im Blick, es gibt aber immer noch einiges zu tun. Die Branchenstudie „Meeting- und Event-Barometer“ zum Beispiel hat untersucht, wie barrierefrei Kongresse, Messen und Freizeitveranstaltungen – zum Beispiel Konzerte – gestaltet sind.
Das Ergebnis: Nur 35 Prozent der Organisatorinnen und Organisatoren, die für die Studie befragt wurden, schätzen ihr Angebot als vollkommen barrierefrei ein. Dabei muss man aber eines bedenken: Viele haben beim Stichwort ‚Barrierefreiheit‘ vor allem bauliche Begebenheiten im Kopf, die aber erst einmal nur für Menschen wichtig sind, die mit dem Rollstuhl oder einer Gehhilfe unterwegs sind. Menschen mit Hör- oder Sehbehinderung werden dabei oft vergessen, genauso wie Menschen mit geistiger Behinderung. Wir möchten auch hier mit unserer Broschüre ein wenig Aufklärungsarbeit leisten und einen Überblick geben, welche Barrieren bei Events entstehen und wie Veranstalterinnen und Veranstalter sie beseitigen können.






Vier Fragen an… Christoph Beyer

#1: Herr Beyer, welche Aufgaben hat eine Schwerbehindertenvertretung – und warum ist das ein anspruchsvoller Job?

Die Vertrauenspersonen müssen sich zum Beispiel in sehr unterschiedliche Themen einarbeiten und ein gewisses Verhandlungsgeschick mitbringen. Außerdem müssen sie sich durchsetzen können, denn sie vertreten ja die Interessen ihrer Kolleginnen und Kollegen mit Behinderung und der Personen, die ihnen gleichgestellt sind. Das ist nicht einfach. Diese Aufgaben beginnen schon an dem Tag, an dem ein Arbeitsverhältnis anfängt, also mit der Einstellung, und können sich bis zu einem Verfahren um eine mögliche Kündigung ziehen. Die Schwerbehindertenvertretungen vermitteln dabei ständig zwischen der Arbeitgeberin oder dem Arbeitgeber, den Beschäftigten und oft auch externen Partnern, zum Beispiel dem Inklusionsamt, der Arbeitsagentur oder der Rentenversicherung. Vor allem am Anfang stoßen sie dabei manchmal auf Widerstände und müssen sich dann dem Arbeitgeber gegenüber behaupten. Wenn das aber erst einmal geschafft ist, können die Vertrauenspersonen sehr viel bewegen.

#2: Welche Fragen oder Schwierigkeiten tauchen bei Schwerbehindertenvertretungen im Moment besonders häufig auf?

In jedem Betrieb sind die Voraussetzungen und Rahmenbedingungen für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Schwerbehinderung unterschiedlich – und so sind auch die Herausforderungen immer andere, mit denen die Vertrauenspersonen konfrontiert sind. Es gibt aber einige Punkte, die für alle Schwerbehindertenvertretungen derzeit schwierig sind. Im Moment bauen zum Beispiel viele Unternehmen in Deutschland Stellen ab, obwohl die Wirtschaft seit Jahren im Aufschwung ist. Von solchen Kündigungen sind auch viele Menschen mit Schwerbehinderung betroffen. Ihre Vertreterinnen und Vertreter haben deshalb alle Hände voll zu tun, damit möglichst viele ihren Job behalten können oder eine andere Stelle im Unternehmen finden.
Eine andere große Herausforderung ist, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den meisten Unternehmen immer älter werden. Dadurch steigt auch das Risiko einer Schwerbehinderung. Die Vertrauenspersonen wollen ihre Kolleginnen und Kollegen natürlich dabei unterstützen, gesund zu bleiben. Das ist zusätzliche Arbeit, denn sie setzen sich ja auch weiterhin dafür ein, den Arbeitsplatz des Mitarbeiters oder der Mitarbeiterin zu erhalten, wenn dann doch eine Schwerbehinderung eintritt.

#3: Bei einigen Veranstaltungen auf dem A+A-Kongress, die Sie moderieren, geht es auch um die Digitalisierung. Welche Rolle spielt dieses Thema für die Inklusion?

Die Arbeitswelt verändert sich durch die Digitalisierung sehr stark. Das birgt Risiken, mit denen wir uns dringend auseinandersetzen müssen, aber auch Chancen. Spezielle Roboter und digitale Systeme zum Beispiel können Menschen mit Behinderung am Arbeitsplatz unterstützen, anstatt sie zu ersetzen. Die Maschine übernimmt dann nur noch die Aufgaben, die der Mitarbeiter aufgrund seiner Behinderung nicht erledigen kann. In Zukunft können so ganz neue Arbeitsfelder entstehen. Risiken entstehen durch die Digitalisierung vor allem für Menschen mit Behinderung, die schon längere Zeit im Beruf sind: Wenn sich ihr Arbeitsplatz sehr stark verändert, müssen sie neue Abläufe einüben oder lernen, mit neuer Soft- oder Hardware umzugehen. Das ist für viele oft schwierig.

#4: Was können die Inklusionsämter des LVR und des LWL tun, um Unternehmen, Betriebe und die Schwerbehindertenvertretungen bei diesem Wandel zu unterstützen?

Die Technischen Beratungsdienste der Inklusionsämter sind gute und kompetente Ansprechpartner, sowohl für die Betriebe als auch für die Schwerbehindertenvertretungen. Sie helfen mit Informationen und unterstützen Menschen mit Behinderung und ihre Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber. Sie sind aber auch eine Art Schnittstelle zwischen den Unternehmen und bestimmten Abteilungen der Landschaftsverbände, die zum Beispiel Fördermittel bewilligen.
Wenn ein Unternehmen schon dabei ist, sich digital zu verändern, kann es auch einen der Integrationsfachdienste (IFD) in der Region ansprechen. Unter bestimmten Voraussetzungen können Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit Behinderung von den IFD finanziell dabei unterstützt werden, zum Beispiel eine Weiterbildung zu machen. Außerdem können die Integrationsfachdienste Jobcoaches vermitteln, die am Arbeitsplatz neue Abläufe mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern einüben.






Mit den Händen, dem Gesicht und dem ganzen Körper sprechen

#1: Gibt es weltweit nur eine einzige Gebärdensprache?

Nein, es werden sehr viele Gebärdensprachen verwendet – weltweit sind es insgesamt 137, sagt die Fachzeitschrift „Ethnologue“.

#2: Wie viele Menschen sind gehörlos und verwenden eine Gebärdensprache?

Rund 0,1 Prozent der Gesamtbevölkerung in Deutschland sind gehörlos, sagt der Deutsche Gehörlosen-Bund. Das entspricht rund 83.000 Menschen. Weltweit sind es etwa 70 Millionen. Die Deutsche Gebärdensprache gebrauchen in Deutschland rund 200.000 bis 300.000 Menschen ständig oder gelegentlich.

# 3: Wenn jemand eine fremde Gebärdensprache lernt: Hat er sie oder er dann einen Akzent?

Ja, wenn Gehörlose eine fremde Gebärdensprache lernen und sie verwenden, können Muttersprachlerinnen und Muttersprachler ihnen das manchmal ansehen – zum Beispiel, wenn die Fremdsprachlerinnen und Fremdsprachler bestimmte Handformen aus der eigenen Muttersprache benutzen. Dadurch entsteht, wie in den Lautsprachen, ein Akzent: Man wird zwar verstanden, doch das Gegenüber kann sehen, dass nicht in der Muttersprache kommuniziert wird.

#4: Bestehen Gebärdensprachen nur aus Gesten mit den Händen?

Nein, Handformen und -bewegungen sind zwar ein sehr wichtiger Teil der Gebärdensprachen, sie bestehen aber genauso auch aus Gesichtsausdrücken, der Körperhaltung und lautlos gesprochenen Wörtern. Über die Mimik werden zum Beispiel Gefühle ausgedrückt und gezeigt, ob einem etwas gefällt oder ob man etwas spannend oder langweilig findet. Ebenso wichtig kann es sein, wo und wie die Gesten ausgeführt werden – zum Beispiel nah am Körper oder mit ausgestrecktem Arm ein Stück davor. Die gleiche Handbewegung kann dann jeweils ein anderes Wort bedeuten.

#5: Neben den Gebärdensprachen gibt es ein so genanntes Fingeralphabet. Was ist das und wie wird es verwendet?

Das Fingeralphabet ergänzt die Gebärdensprache und dient dazu, Wörter zu buchstabieren. Für jeden Buchstaben des geschriebenen Alphabets gibt es ein Zeichen, das mit der Hand dargestellt wird. Diese Zeichen werden genutzt, um beispielsweise Namen oder Begriffe zu buchstabieren, für die es (noch) keine Gebärde gibt.

# 6: Wie und wann sind Gebärdensprachen entstanden?

Genauso wie die gesprochenen Sprachen sind Gebärdensprachen so genannte „natürliche Sprachen“. Das bedeutet, dass sie vor vielen Jahrhunderten entstanden sind und sich im Laufe der Zeit stetig weiterentwickelt haben. Allerdings wurden sie gesellschaftlich lange nicht als gleichwertige Kommunikationsform zu den Lautsprachen akzeptiert. Ab 1880 waren Gebärdensprachen in den Schulen sogar fast weltweit verboten, weil gehörlose Schülerinnen und Schüler die Lautsprache des jeweiligen Landes lernen sollten.

#7: Hat die Deutsche Gebärdensprache die gleiche Grammatik wie gesprochenes oder geschriebenes Deutsch?

Nein, die Deutsche Gebärdensprache hat eine ganz eigene Grammatik. So werden Sätze zum Beispiel ganz anders aufgebaut als in der gesprochenen Sprache: Zeitangaben wie „heute“ oder „morgen“ stehen in der Gebärdensprache immer am Satzanfang, danach folgen Ortsangaben. Fragewörter wie „warum“ oder „was“ stehen immer am Ende. Eine Frage wie „Gehst du mit mir ins Café?“ wird außerdem genauso gebärdet wie der Aussagesatz „Du gehst mit mir ins Café“. Dass eine Frage gestellt wird, erkennt das Gegenüber nur am Gesichtsausdruck der Person, die sie formuliert – die Mimik ist also das Fragezeichen.

#8: Wo kann ich die Deutsche Gebärdensprache lernen?

In Deutschland bieten viele Volkshochschulen entsprechende Sprachkurse an. Darüber hinaus gibt es auch einige Gebärdensprachschulen und Vereine, bei denen du die DGS lernen kannst.





Wie ist der Alltag gehörloser Menschen?

Aus diesem Besuch bei Robin ist die schöne Video-Reportage „Jung und taub“ entstanden, in der der junge Mann dem PULS-Moderator seinen Alltag zeigt. Er erklärt, wie manche Situationen für ihn sind, wie er sich ohne Lautsprache mit seinem Umfeld verständigt und was er sich für die Zukunft von hörenden Menschen wünscht.

Der Ton der Reportage wird übrigens begleitend zum Film von einem Gebärdensprachdolmetscher übersetzt und Robins Gebärden von einer Dolmetscherin in Lautsprache.




Studieren mit Behinderung: Ergebnisse der best2-Studie

Beim Wort „Behinderung“ denken viele an einen Menschen, der mit Rollstuhl unterwegs ist. Oft sind Behinderungen aber gar nicht zu sehen, zum Beispiel, wenn sie psychisch oder geistig sind. Eine Behinderung sagt ohnehin erst einmal nichts über die Fähigkeiten eines Menschen aus.

An Unis ist das ein ähnlich schwieriges Thema wie auf dem Arbeitsmarkt. Rund 11 Prozent aller Studierenden an Deutschlands Hochschulen haben eine Behinderung, doch laut einer Selbsteinschätzung der Befragten in der best2-Studie („best“ steht für „beeinträchtigt studieren“) können Außenstehende nur bei 4 Prozent dieser Studierenden deren Behinderung auf Anhieb wahrnehmen. Das ist nur eines der vielen interessanten Ergebnisse, die das Deutsche Studentenwerk, das Deutsche Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung und das Institut für Höhere Studien Wien in ihrer Befragung herausgefunden haben.

Viele psychische und chronische Erkrankungen

Das hängt damit zusammen, dass mehr als die Hälfte der Studierenden mit Behinderung (53 Prozent) eine psychische Erkrankung haben. 20 Prozent haben chronisch-somatische Erkrankungen wie beispielsweise Rheuma, Multiple Sklerose oder Epilepsie, die ebenfalls nicht unbedingt sichtbar sind, aber im Studium beeinträchtigen. 10 Prozent haben eine körperliche Behinderung, zu denen neben motorischen Handicaps auch Seh- oder Hörbehinderungen zählen. 4 Prozent leben mit so genannten Teilleistungsstörungen – dazu gehört etwa die Legasthenie, eine Behinderung, bei der Lesen und Rechtschreiben nur stark verzögert erlernt werden können. 6 Prozent der Studierenden nannten andere Behinderungen, 7 Prozent haben mehrere Handicaps.

Barrieren mildern mit Nachteilsausgleichen

Unabhängig von der Art des Handicaps gaben neun von zehn Befragten an, dass ihre Behinderung sie im Studium stark beeinträchtigt. Das hängt nicht zuletzt mit einer hohen Prüfungsdichte und mit den Anwesenheits- und Zeitvorgaben an den Unis zusammen.
Um diese erschwerenden Rahmenbedingungen abzufedern, können Studierende so genannte Nachteilsausgleiche (siehe Kasten in Anspruch nehmen. Damit können die Umstände für sie im Studium individuell so angepasst werden, dass jede und jeder Studierende mit Behinderung die geforderten Lernziele erreichen kann – die Prüfungsleistungen werden deshalb aber nicht anders bewertet. Inhaltlich gelten also die gleichen Anforderungen wie für Studierende ohne Behinderung.

Angst vor Ablehnung

Die best2-Studie fand heraus, dass drei Viertel der befragten Studierenden diese Möglichkeit zwar hilfreich finden, sie aber nur vergleichsweise selten nutzen. So haben nur knapp 30 Prozent der Befragten in ihrer Studienlaufbahn wenigstens einmal einen Nachteilsausgleich beantragt.
Einige verzichten nicht bewusst auf diese Option, sondern kennen ihre Rechte nicht. Andere haben Hemmungen, die Ausgleiche zu beantragen, oder wollen keine „Sonderbehandlung“. Hier liegt ein besonderer Knackpunkt der Studie: Sie zeigt, dass viele Studierende Angst davor haben, wegen ihrer Behinderung abgelehnt oder stigmatisiert zu werden. Außerdem haben einige auch schon negative Erfahrungen damit gemacht, ihre Behinderung offenzulegen.

Appell an die Hochschulen: mehr informieren

All das erschwert die Kommunikation mit Lehrenden, Kommilitoninnen und Kommilitonen und der Verwaltung. Nach Einschätzung des Präsidenten des Deutschen Studentenwerks, Prof. Dr. Rolf-Dieter Postlep, zeigt best2 vor allem eines: wie dringend die Hochschulen die Studierenden bereits zu Beginn des Studiums zielgerichtet informieren müssten. Deshalb gehört das Thema Nachteilsausgleich aus seiner Sicht in jede Erstsemester-Veranstaltung.

Beratungsangebote und private Unterstützung

Eben weil es noch so viele Barrieren gibt, ist vielen Studierenden die Unterstützung ihrer Familie während des Studiums besonders wichtig. Auch Ärztinnen und Ärzte, Therapeutinnen und Therapeuten und Kommilitoninnen und Kommilitonen spielen hier eine entscheidende Rolle. Eine weitere wichtige Voraussetzung ist auch, dass die Studierenden vor allem zu Beginn des Studiums bedarfsgerecht unterstützt werden.

Positiv: Angebote sind besser bekannt

Zum Schluss gibt es noch ein paar gute Nachrichten: Studierende mit Behinderung wissen heute besser über die Beratungsangebote an den Hochschulen Bescheid als zum Zeitpunkt der ersten Befragung im Jahr 2011. Außerdem werden diese Möglichkeiten nachweislich häufiger genutzt. Und: Vier von fünf beeinträchtigten Studierenden sagen, dass sie ihren Studiengang wieder wählen würden – trotz aller Barrieren.




Zahl des Monats: 1,25 Millionen

Diese Zahl hat die Aktion Mensch kürzlich mit dem Inklusionsbarometer Arbeit 2018 herausgefunden, einer Studie, die die Lage und Entwicklung der beruflichen Inklusion auf dem deutschen Arbeitsmarkt untersucht. Damit setzt sich ein positiver Trend fort, denn diese Zahl steigt jedes Jahr weiter an (2015: 1,15 Mio., 2016: 1,18 Mio., 2017: 1,23 Mio.).

Aber woher hat die Aktion Mensch diese Zahl? Ganz einfach: Sie rechnet sie aus zwei verschiedenen Statistiken der Bundesagentur für Arbeit neu zusammen.

Die Bundesagentur für Arbeit selbst veröffentlicht normalerweise nur die Zahl der besetzten so genannten Pflichtarbeitsplätze. Unternehmen mit mehr als 20 Mitarbeitern müssen in Deutschland nämlich mindestens fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze mit Menschen mit Behinderung besetzen. Die tatsächliche Zahl der Menschen mit Behinderung, die sie beschäftigen, müssen sie jedes Jahr an die Bundesagentur für Arbeit melden.

Nicht ganz so genau betrachtet werden dagegen die kleinen Unternehmen, die weniger als 20 Mitarbeiter beschäftigen. Die Bundesagentur ermittelt nur alle fünf Jahre durch eine repräsentative Stichprobenerhebung, wie viele Menschen mit Behinderung dort arbeiten. In die jährliche Statistik fließt das nicht ein.

Um das genauer zu erheben, addiert die Aktion Mensch in ihrem Inklusionsbarometer die Ergebnisse beider Statistiken. Damit errechnet sich die tatsächliche Anzahl von Menschen mit Behinderung, die eine Stelle auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt haben. Wir rechnen für das Jahr 2018 noch einmal vor:

1,078 Millionen besetzter Pflichtarbeitsplätze
+ 168.000 Beschäftigte bei Unternehmen mit weniger als 20 Mitarbeitern
= 1,25 Millionen Beschäftigte.