Digitale Barrieren abbauen

Herr Warnke, Sie leben selbst mit einer Sehbeeinträchtigung. Welche Barrieren begegnen Ihnen besonders oft beim Umgang mit dem Computer?

Ich arbeite mit einem Windows-PC und nutze ein Vergrößerungsprogramm, eine Art Lupe. Damit steht mir nur ein kleiner, vergrößerter Bildschirmausschnitt zur Verfügung, mit dem ich über den Bildschirm navigiere. Es ist wichtig, dass das Vergrößerungsfenster immer dort ist, wo ich gerade schreibe oder per Tastatur in Menüs eine Auswahl treffe. Eigentlich eine praktische Hilfe, aber leider funktioniert dies nicht immer reibungslos. Es kommt vor, dass es nach einem Windows-Update erhebliche Probleme gibt, bis hin zum Systemabsturz. Manche der Probleme verschwinden, wenn endlich das nächste Update für das Vergrößerungsprogramm kommt. Darüber hinaus kann ich in der neuesten Windows-Version nicht mehr die Fensterhintergrundfarbe frei wählen – ich hatte früher immer hellgrau eingestellt. Das ist für mich wichtig, weil ich sehr lichtempfindlich bin. Heute geht das nicht mehr, weil Microsoft so gut wie keine individuellen Einstellungen mehr zulässt. Dadurch ist für mich das Arbeiten am PC viel anstrengender geworden.

Wie sieht es mit dem Smartphone aus?

Für mich ist mein Smartphone ein universelles Hilfsmittel: beim Navigieren, beim Reisen mit Bahn und Bus, beim Lesen oder Vorlesen Lassen von Büchern und Zeitungen, als elektronische Lupe oder sogar als Fernrohr. Ich nutze ein Gerät, das schon von Hause aus für sehbeeinträchtigte Menschen gut nutzbar ist. Problematisch wird es aber immer, wenn die Apps, die ich verwende, nicht barrierefrei sind – wenn ich also zum Beispiel Inhalte nicht vergrößern kann, wenn Kontraste zu schwach sind, wenn es ungünstige Farbkombinationen gibt oder ich die Sprachausgabe nicht nutzen kann.

Welche Hilfsmittel setzen Sie beim Surfen ein und wie gut funktioniert das? Welche Hürden begegnen Ihnen besonders oft?

Ich benutze auch hier das PC-Vergrößerungsprogramm, das ich oben beschrieben habe. Das geht bei klar strukturierten Websites ganz gut. Allerdings unterscheiden sich die meisten Seiten in ihrem Aufbau sehr deutlich voneinander, ich muss sie also jedes Mal wieder neu erkunden. Das kann sehr anstrengend sein. Oft sind die Kontraste so schwach, dass ich Schriften nicht gut erkennen kann. Wenn dann noch ständig Werbung dazwischen „funkt“ wird es für mich noch schwieriger beim Surfen. Formulare kann ich oft auch nicht mühelos ausfüllen, weil die Namen der Felder nicht per Sprachausgabe vorgelesen werden können. Ich weiß dann nicht, was ich wo in welcher Reihenfolge eintragen muss. Dadurch ist es schon vorgekommen, dass ich eine Buchung oder einen Interneteinkauf vorzeitig abbrechen musste.

Welche Hindernisse könnten aus Ihrer Sicht leicht vermieden werden – und wie?

Für sehbeeinträchtigte Menschen sind klar strukturierte, kontrastreiche Programmoberflächen und Webseiten sehr wichtig. Eine wesentliche Erleichterung ist auch, wenn barrierefreie PDF-Dokumente zur Verfügung stehen, deren Texte für Sprachausgaben lesbar sind. Es gibt hier offizielle Vorgaben für die barrierefreie Gestaltung von Programmoberflächen und Web-Inhalten. Leider werden diese immer noch zu wenig beachtet und umgesetzt.

Gibt es eine Möglichkeit, die eigene Webseite oder Apps auf Barrieren prüfen zu lassen?

Ja. Für Webinhalte gibt es den so genannten BITV-Test. BITV steht für „Barrierefreie Informationstechnik-Verordnung“. Apps wiederum können mit dem BITi-Prüfverfahren auf Barrierefreiheit geprüft werden.

Entstehen automatisch Mehrkosten, wenn Anbieter ihre Seiten oder Angebote barrierefrei gestalten wollen?

Der Schlüssel ist, Barrierefreiheit von Anfang an mitzudenken und bei der Entwicklung umzusetzen, denn nachträglich ist dies oft nicht mehr möglich. Und wenn schon in der Konzeptphase für ein Programm oder eine Website die Standards für Barrierefreiheit berücksichtigt und durch das IT-Personal auch konsequent umgesetzt werden, dann entstehen auch kaum Mehrkosten. Falls doch, überwiegt trotzdem der Gewinn, weil durch eine anwenderfreundliche und barrierefreie Gestaltung generell mehr Nutzerinnen und Nutzer gewonnen werden können.

Gibt es empfehlenswerte Websites oder Apps, die Menschen mit Sehbehinderung besonders gut nutzen können und von denen Anbieter sich inspirieren lassen können?

Ja, auf der BITV-Test-Seite gibt es eine Reihe vorbildlicher Websites, die von kompetenten Agenturen entwickelt worden sind. Eine vergleichbare Sammlung von mobilen Apps kenne ich leider nicht.

An wen können sich Redaktionsteams, Entwickler oder Webdesigner wenden, wenn sie Probleme von vorn herein vermeiden wollen?

Beratungsstellen des BITV-Test-Prüfverbunds bieten an, den Entwicklungsprozess von Websites und Apps mit Tests zu begleiten. Außerdem gibt es Checklisten für die Web- und App-Entwicklung, zum Beispiel die BITV-Checkliste des Rechenzentrums Erlangen oder der Qualitäts-Guide für mobile Apps der TU Dortmund.

Welche Anlaufstellen gibt es für Betroffene, denen Barrieren im Netz oder auch sonst im digitalen Bereich begegnet sind?

Ein guter Anlaufpunkt ist die Meldestelle für digitale Barrieren. Menschen mit Sehbeeinträchtigungen können aber auch ihren örtlichen Blinden- und Sehbehindertenverein ansprechen.

Welche Rolle spielt das Projekt BIT inklusiv in diesem Zusammenhang, das Sie geleitet haben?

BIT inklusiv war ein Projekt des Deutschen Vereins der Blinden Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V. (DVBS). Die Abkürzung steht für „Barrierefreie Informationstechnik für inklusives Arbeiten“. Genau das war unser Ziel: Wir wollten digitale Angebote dahingehend verbessern, dass sie für alle Menschen zugänglich sind. Konkret wurden mit dem Projekt IT-Experten in öffentlichen Verwaltungen und privatwirtschaftlichen Unternehmen für barrierefreie Informationstechnik sensibilisiert. Außerdem haben wir ihnen das Know-How an die Hand gegeben, Websites und Apps barrierefrei umzusetzen und Testverfahren anzuwenden. Aus dieser Arbeit sind mehrere Kompetenzzentren für barrierefreie IT hervorgegangen. Einige haben am Ende der Projektphase begonnen, auf den freien Markt zu gehen, um ihr Angebot zu verbreiten und ihr Wissen stärker in die Öffentlichkeit zu tragen. –




Wie werden Menschen mit Sehbehinderung in NRW an ihrem Arbeitsplatz unterstützt?

In Nordrhein-Westfalen sind vor allem der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) und der Landschaftsverband Rheinland (LVR) dafür zuständig, die Leistungen für Menschen mit Behinderungen zu bündeln und zu organisieren. Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Sehbehinderung sind die so genannten Integrationsfachdienste im gesamten Bundesland gute erste Anlaufstellen, ebenso wie die Hilfsmittelberatungsstellen der beiden Berufsbildungswerke in Soest und in Düren. In Westfalen-Lippe gibt es darüber hinaus eine Einrichtung, deren Experten speziell blinde und sehbehinderte Berufstätige beraten und sie dabei unterstützen, entsprechende Leistungen am Arbeitsplatz zu beantragen: Den Fachdienst für Menschen mit Sehbehinderung beim LWL-Inklusionsamt Arbeit. Wir stellen das Angebot in diesem Artikel vor.

(Tipp für Leser aus dem Rheinland: Am Ende des Textes haben wir einige Informationen zu den Anlaufstellen für Menschen mit Sehbehinderungen aus dieser Region zusammengestellt.)


Welche Aufgaben hat der Fachdienst für Menschen mit Sehbehinderung, der an das LWL-Inklusionsamt Arbeit in Westfalen-Lippe angedockt ist? 

Beim Fachdienst arbeiten interne und externe Experten zusammen. Ihre Aufgabe ist es, berufstätige Menschen mit Sehbehinderungen aus Westfalen-Lippe an ihren Arbeitsplätzen zu unterstützen, damit diese so eigenständig wie möglich arbeiten können. Wenn auf eine Mitarbeiterin oder einen Mitarbeiter in einem Betrieb zum Beispiel neue Aufgaben zukommen, kann der Fachdienst zusammen mit den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bei den Integrationsfachdiensten dabei helfen, diese so zu gestalten, dass das gewünschte Ziel auch mit einer Seheinschränkung erreicht werden kann. Wenn jemand einen Job ganz neu beginnt, helfen die Experten außerdem dabei, den Arbeitsplatz von vornherein barrierefrei zu gestalten. Sie betreuen jeden Fall ganz individuell, informieren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer etwa über neue Hilfsmittel, beraten sie oder geben Schulungen. Im Zuge der NRW-weiten Initiative „Schule trifft Arbeitswelt“ (STAR) helfen sie auch Schülerinnen und Schülern kurz vor dem Abschluss dabei, ein Praktikum zu finden und sich für einen Beruf zu entscheiden. Das STAR-Angebot gilt übrigens auch für junge Menschen im Rheinland. Allerdings gibt es dort keinen eigenen Fachdienst für Menschen mit Sehbehinderung.

Wer hat Anspruch auf die Leistungen der Fachdienste – und wie wird festgestellt, welchen Unterstützungsbedarf eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer mit Sehbehinderung hat?

In Westfalen-Lippe können sich grundsätzlich alle (angehenden) Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einer nachweislichen Sehbehinderung direkt an den Fachdienst wenden, um Unterstützung zu beantragen. Bevor es mit konkreten Maßnahmen losgeht, wird erst einmal das Sehvermögen der Person geprüft, die die Hilfe beantragen möchte. Anschließend wird die aktuelle Arbeitssituation genau begutachtet und dokumentiert. Auf dieser Grundlage ermitteln die Experten dann, welche Hilfsmittel nötig sind, damit die Arbeit ohne Barrieren erledigt werden kann.

Inwiefern können die Arbeitnehmer ebenso wie die Arbeitgeber mit entscheiden, was wie umgesetzt wird – wie stark sind diese beiden also in die Umgestaltung eines Arbeitsplatzes und in eventuelle Fördermaßnahmen involviert?

Sämtliche Lösungen werden immer gemeinsam mit dem Menschen mit der Sehbehinderung entwickelt, der die Hilfe beantragt hat. Damit sie oder er selbstständig arbeiten kann, muss einerseits eine gewisse Bereitschaft da sein, etwas zu verändern, zugleich muss sie oder er sich mit den Neuerungen natürlich auch wohlfühlen. Die Expertinnen und Experten des Fachdienstes beim LVR-Inklusionsamt und den Integrationsfachdiensten nehmen sich daher viel Zeit, um die Personen, die sie unterstützen, sowie deren Bedürfnisse und deren Fähigkeiten genau kennenzulernen. Erst dann kann ein Arbeitsplatz passend individuell umgestaltet werden. Es werden nie einfach nach standardisierten Vorgaben zum Beispiel technische Hilfsmittel empfohlen. Jeder Fall wird einzeln betrachtet – mit dem Ziel, eine optimale Lösung für alle Beteiligten zu finden, also auch für die Arbeitgeber.

Wie lange dauert die Umgestaltung oder Anpassung eines Arbeitsplatzes ab dem Erstkontakt?

Das kann von Fall zu Fall stark variieren. Wenn es ganz besonders eilig ist, zum Beispiel, weil sich die Sehfähigkeit eines Menschen plötzlich verschlechtert hat, bemühen sich die Experten natürlich sehr, möglichst unbürokratisch und schnell zu agieren. Dazu gibt es einen Hilfsmittelpool bei den beiden Berufsbildungswerken in Soest (Westfalen-Lippe) und Düren (Rheinland), aus dem in solchen Fällen geschöpft werden darf, so dass technische Hilfen auch mal sehr kurzfristig zur Verfügung gestellt werden können. Normalerweise werden solche Hilfen aber langfristig geplant und beantragt, so dass der gesamte Prozess inklusive des Antrags, der Feststellung des Bedarfs, dem Umbau des Arbeitsplatzes und den nötigen Schulungen mehrere Wochen dauern kann.

Was sind typische Hilfsmittel, mit denen die Voraussetzungen am Arbeitsplatz besonders schnell und einfach verbessert werden können?

Das sind vor allem technische Geräte wie größere Monitore, Monitor-Schwenkarme, Kamera-Lesegeräte, Großschrift-Programme, Braillezeilen, spezielle Leuchten und optische Hilfen, aber auch Tablets mit Lupenfunktion. Wichtig ist nichtsdestotrotz eine intensive und ganzheitliche Schulung zum fachgerechten Umgang mit diesen Geräten. Dabei helfen die so genannten Hilfsmittelspezialisten bei den beiden Berufsbildungswerken. Sie üben mit den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern ausgiebig ein, wie ein Hilfsmittel benutzt werden muss – und daraus entsteht dann meist schnell eine viel größere Barriere- und Bewegungsfreiheit am Arbeitsplatz.

Wohin können sich Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit einer Sehbehinderung aus dem Rheinland wenden, für die der Fachdienst in Westfalen-Lippe nicht zuständig ist?

Die ersten Anlaufstellen im Rheinland sind, wie in Westfalen-Lippe auch, die örtlichen Integrationsfachdienste. Die Ansprechpartner dort beraten und helfen auch bei Fragen zu Kosten, Zuschüssen oder Schulungen weiter. Bei Bedarf stellen sie den Kontakt zu technischen Experten her, die für die behinderungsgerechte Arbeitsplatz-Gestaltung sorgen. Zu diesem Thema berät im Rheinland in erster Linie der technische Beratungsdienst des dortigen LVR-Inklusionsamtes, und zwar sowohl Unternehmen als auch schwerbehinderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Das Ganze ist kostenlos. Auch die Hilfsmittelberatungsstelle beim Berufsförderungswerk Düren im Rheinland ist ein guter Ansprechpartner für eine Erstberatung. Wer möchte, kann sich aber auch von spezialisierten Optikerinnen oder Orthoptisten in vielen Augenarztpraxen in der Region beraten lassen. Tipp: In der Broschüre „Sehbehinderung im Beruf“ hat der LVR seine Unterstützungsangebote für betroffene Menschen und Arbeitgeber kompakt zusammengefasst.




Was ist eigentlich… der besondere Kündigungsschutz?

In Deutschland gibt es einen gesetzlichen Kündigungsschutz, der alle Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer davor bewahrt, dass sie grundlos, willkürlich oder ungerechtfertigt aus ihrem Job entlassen werden. Für Menschen, die mit einer Schwerbehinderung leben und arbeiten, reicht dieser Schutz noch weiter: Nach dem sogenannten „besonderen Kündigungsschutz“ muss bei diesen Beschäftigten immer vorab vom zuständigen Inklusionsamt geprüft werden, ob bei der vom Arbeitgeber beabsichtigten Kündigung die Belange des schwerbehinderten Menschen berücksichtigt werden. Der Träger des Inklusionsamtes in der Region Westfalen-Lippe ist der LWL (die Abkürzung steht für „Landschaftsverband Westfalen-Lippe“). Dieses Amt ist ein wichtiger Ansprechpartner für Menschen mit Behinderungen und setzt sich unter anderem auch dafür ein, dass der besondere Kündigungsschutz eingehalten wird.


Was unternimmt ein Inklusionsamt, wenn ein Arbeitgeber die Zusammenarbeit mit einem Menschen mit Schwerbehinderung kündigen will?

Der besondere Kündigungsschutz soll verhindern, dass schwerbehinderte Menschen ausschließlich aufgrund ihres Handicaps entlassen werden können. Das Ziel ist nicht, sie damit gegenüber anderen Arbeitnehmern besser zu stellen. Stattdessen sollen auf diese Weise mögliche Nachteile ausgeglichen werden, die diese Menschen aufgrund ihrer Behinderung am Arbeitsplatz erfahren.

Für wen gilt dieser besondere Kündigungsschutz?

Er gilt für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, die einen Behinderungsgrad von mindestens 50 Prozent haben oder bei einem Grad der Behinderung von 30 bis 50 von der Agentur für Arbeit den schwerbehinderten Menschen gleichgestellt wurden. Was viele übrigens nicht wissen: Der besondere Kündigungsschutz gilt auch dann, wenn der Arbeitgeber vorher nichts von der Schwerbehinderung seines Beschäftigten wusste. Das kommt deshalb manchmal vor, weil Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nicht gesetzlich dazu verpflichtet sind, ihre Schwerbehinderung mitzuteilen.

Gibt es Ausnahmen vom besonderen Kündigungsschutz?

Ausgeschlossen sind auslaufende, befristete Tätigkeiten und so genannte einvernehmliche Aufhebungsverträge. In letztem Fall sind sich beide Parteien einig, dass das Arbeitsverhältnis beendet werden soll. Auch dann, wenn eine Arbeitnehmerin oder ein Arbeitnehmer sich aus freien Stücken dazu entscheidet, zu kündigen, muss sie oder er dafür nicht erst die Zustimmung vom Inklusionsamt einholen.

Wie läuft ein Kündigungsverfahren üblicherweise ab, das vom Inklusionsamt begleitet wird?

Wenn ein Arbeitgeber die Zusammenarbeit mit einer Mitarbeiterin oder einem Mitarbeiter mit Schwerbehinderung kündigen möchte, muss er beim Inklusionsamt erst die Zustimmung dafür beantragen. Dazu muss er standardisierte Formulare und verschiedene weitere Unterlagen ausfüllen und einreichen, außerdem muss er die Kündigung ausführlich begründen. Das Inklusionsamt in Westfalen hat zudem einen Teil der Aufgaben rund um den besonderen Kündigungsschutz auf die örtlichen Fachstellen übertragen, die an dieser Stelle ebenfalls ins Spiel kommen. Sie hören die Arbeitnehmerin oder den Arbeitnehmer mit Schwerbehinderung an und klären den Sachverhalt, der der beabsichtigten Kündigung zugrunde liegt. Danach wird die geplante Entlassung im Betrieb des Arbeitgebers genau verhandelt.
Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der örtlichen Fachstelle führen dazu ausführliche Gespräche mit allen Beteiligten und schauen sich, je nach vorgetragenem Kündigungsgrund, auch den Arbeitsplatz noch einmal genau an. Wenn nötig, schalten sie weitere Fachdienste ein, zum Beispiel den technischen Beratungsdienst oder den Integrationsfachdienst. Sie können auch Fachärzte zu Rate ziehen und so alle nötigen Informationen zusammentragen, um über die Kündigung entscheiden zu können. Anschließend teilen die Experten der Fachstelle ihre Ermittlungsergebnisse dem Inklusionsamt mit. Dieses entscheidet dann darüber, ob die Zustimmung zur Kündigung erteilt werden kann oder nicht.

Wie lange dauert so ein Kündigungsverfahren?

Das variiert von Fall zu Fall. Bei außerordentlichen Kündigungen etwa muss die zuständige Stelle innerhalb von zwei Wochen entscheiden, was geschehen soll. Bei betriebsbedingten Kündigungen bleibt dagegen rund ein Monat Zeit. Das Verfahren ist in der Regel in höchst strittigen Fällen etwas aufwändiger, denn das Ziel ist ja, gemeinsam mit allen Beteiligten die behinderungsbedingten Schwierigkeiten am Arbeitsplatz zu beheben, um so eine Kündigung zu vermeiden. Das ist manchmal ein sehr komplexer Prozess – der sich aber sehr lohnt. Das LVR-Inklusionsamt konnte mit entsprechenden Maßnahmen allein im Jahr 2015 in rund 50 Prozent der strittigen Fälle eine Kündigung verhindern und so einen Arbeitsplatz für einen Menschen mit Schwerbehinderung erhalten.

Welche Rolle spielen die Arbeitgeber in diesem Verfahren und wann wird einer Kündigung in der Regel zugestimmt?

Der besondere Kündigungsschutz verpflichtet Unternehmen oder Organisationen nicht dazu, einen Arbeitsplatz zu erhalten, wenn das wirtschaftlich nicht möglich ist. Ein Beispiel dafür sind betriebsbedingte Kündigungen, die in der Regel andere Gründe haben als die Behinderung eines einzelnen Mitarbeiters. Hier stimmt das Inklusionsamt der Kündigung meist zu. Auch dann, wenn absolut kein Zusammenhang zwischen der Behinderung eines Beschäftigten und den Gründen, sie oder ihn zu entlassen, zu erkennen ist, stimmt das Inklusionsamt der Kündigung in der Regel zu. Der besondere Kündigungsschutz ist also ausdrücklich nicht dazu gedacht, eine von der Behinderung gänzlich unabhängige schlechte Leistung eines Beschäftigten zu rechtfertigen – und er garantiert auch keine Anstellung auf Lebenszeit.




Nicht in die Werkstatt, sondern auf den Arbeitsmarkt

Alles begann mit einem Praktikum bei der katholischen Kirchengemeinde St. Urbanus in Dorsten. Niklas Grewing, der eine inklusive Schule mit dem Förderschwerpunkt Geistige Entwicklung besuchte, schaffte von dort aus im Jahr 2014 den Sprung in seinen Traumjob. Heute sorgt der 20-Jährige als Küster dafür, dass bei Gottesdiensten, Beerdigungen, Hochzeiten oder Taufen in der Dorstener Kirche alles rund läuft, erledigt die Garten- und Pflegearbeiten rund um das Gebäude und ist für das Waschen und Bügeln der kirchlichen Gewänder zuständig. Er verdient sein eigenes Geld und will sich bald eine eigene Wohnung und einen KFZ-Führerschein finanzieren.

Damit solche Lebenswege und Freiheiten für möglichst viele Menschen mit Schwerbehinderungen möglich werden, gibt es für Förderschülerinnen und -schüler in Deutschland verschiedene Programme, die von unterschiedlichen Organisationen und Institutionen getragen werden. In Nordrhein-Westfalen ist das beispielsweise das Angebot „Schule trifft Arbeitswelt“, kurz „STAR“, mit dem auch Niklas Grewing gefördert wurde (siehe Infokasten).

Niklas Grewing steht am Altar und zündet eine Kerze an.
Niklas Grewing hat seinen Traumberuf gefunden: Er ist Küster in einer Kirche in Dorsten. Das war auch mit Hilfe des Programms STAR möglich. Foto: LWL

Das erklärte Ziel dieses Programms: Es soll Förderschülerinnen und -schülern den Sprung auf den ersten Arbeitsmarkt ermöglichen. Bei STAR funktioniert das so: Die Jugendlichen werden bereits drei Jahre vor ihrem Schulabschluss von Experten aus so genannten Integrationsfachdiensten eng begleitet. Die jungen Menschen überlegen und planen dabei gemeinsam mit den Experten, welcher Beruf für sie später in Frage kommt, welche Fähigkeiten sie mitbringen oder noch weiterentwickeln könnten und welche Voraussetzungen der künftige Arbeitsplatz erfüllen müsste. Die Schülerin oder der Schüler kann auch erste Praktika in Betrieben oder bei Organisationen absolvieren, die sie oder er interessant findet, und wird dabei stets eng begleitet und beraten. Auf Wunsch können die Jugendlichen auch weitere Angebote nutzen: Sie können Seminare zur Berufsorientierung besuchen, kommunikative Hilfen in Anspruch nehmen, ein Mobilitätstraining oder ein betriebliches Arbeitstraining (Jobcoaching) machen oder technische Arbeitshilfen beantragen.

Diese Angebote hat auch Niklas Grewing wahrgenommen. Bei der Einarbeitung half zum Beispiel eine Arbeitstrainerin mit, die ihn mit einem Jobcoaching in der ersten Phase unterstützte. Sein Arbeitgeber, die St. Urbanus Kirchengemeinde, bekam darüber hinaus eine Einstellungsprämie und weitere finanzielle Hilfen zur Verfügung gestellt. Heute sind beide sehr zufrieden: Niklas Grewing in seinem Traumberuf, die Kirche mit ihrem hoch engagierten Küster.





Was ist eigentlich… eine Arbeitsassistenz?

Wozu gibt es Arbeitsassistenten und wie werden sie finanziert?

Einige Menschen mit einer Schwerbehinderung brauchen am Arbeitsplatz eine helfende Hand, um ihrer gelernten oder studierten Tätigkeit nachgehen zu können. Damit ihnen keine Nachteile gegenüber nicht behinderten Arbeitnehmern entstehen, gibt es die so genannten Arbeitsassistenten. Sie helfen den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern mit Handicap, sich im Arbeitsleben voll zu entfalten, so dass sie ihre Qualifikationen umfassend einsetzen und ihre Fähigkeiten ausbauen können. Damit werden bestehende Arbeitsverhältnisse gesichert, denn Arbeitsassistenten helfen, behinderungsbedingte Schwierigkeiten auszugleichen und Problemen am Arbeitsplatz vorzubeugen. Neben dieser Unterstützung zur Teilhabe am Arbeitsleben sichert eine Assistenz auch den sozialen Status des Menschen mit Handicap innerhalb der Gesellschaft. Die Leistungen der Assistenten werden übrigens, soweit sie der Erhaltung des Arbeitsplatzes dienen, aus der Ausgleichsabgabe finanziert.

Welche Aufgaben haben Arbeitsassistenten?

Arbeitsassistenten helfen schwerbehinderten Mitarbeiterinnen oder -Mitarbeitern zum Beispiel bei Außenterminen, bei denen sie sich in fremden und manchmal nicht barrierefreien Umgebungen zurechtzufinden müssen. Bewegungseingeschränkten Personen können sie etwa schwere Dinge tragen helfen oder Unterlagen anreichen. Blinde und sehbehinderte Menschen profitieren von einer Assistenz, weil diese ihnen zum Beispiel handschriftliche Texte vorlesen kann, und Gehörlose werden bei kommunikativen Tätigkeiten wie etwa Terminabsprachen oder Telefonaten unterstützt. Assistenten übernehmen also nur leichte Büro-, Buchhalterei- oder andere Innendienstjobs, die sie nach einer kurzen Anlern- und Einweisungsphase für die Person erledigen können, die sie begleiten. Dafür brauchen sie also keine Vor- oder Ausbildung.

Wer hat Anspruch auf eine Arbeitsassistenz?

Allen Arbeitnehmern mit einem Behinderungsgrad von mindestens 50 Prozent, die regelmäßig Hilfe brauchen und mindestens 15 Stunden in der Woche arbeiten, steht eine Arbeitsassistenz zu. Auch Personen, die von der Agentur für Arbeit gleichgestellt wurden, haben ein Recht auf die Hilfe. Das gleiche gilt für Beschäftigte in Inklusionsbetrieben, die eine Wochenarbeitszeit von mindestens zwölf Stunden haben.

Wie kann man eine Arbeitsassistenz beantragen?

Schwerbehinderte Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer können einen entsprechenden Antrag an das zuständige Inklusionsamt stellen. Dazu gibt es standardisierte Formulare, die ausgefüllt eingereicht werden müssen. Zusätzlich müssen dem Antrag meist noch weitere Unterlagen beigefügt werden, etwa der Arbeitsvertrag oder der Schwerbehindertenausweis. Es kann auch vorkommen, dass eine Tätigkeitsbeschreibung der möglichen Assistenz nötig ist. Die vollständigen Unterlagen sendet die Antragstellerin oder der Antragsteller dann an das Inklusionsamt.

Wie läuft das weitere Antragsverfahren ab?

Sobald der Antrag beim zuständigen Amt eingegangen ist, wird er geprüft. Wenn eine Assistenz für die jeweilige Person infrage kommt, wird ihr oder ihm eine Fachberaterin oder ein Fachberater zugewiesen. Diese Fachkraft lernt den Menschen mit Behinderung dann erst einmal kennen und schaut sich seine Tätigkeit und die technische Ausstattung an seinem Arbeitsplatz an. Dafür besucht sie oder er den Arbeitsplatz, es wird über die Aufgaben gesprochen und die wichtigsten Arbeitsabläufe werden geklärt. Wenn es nötig ist, werden auch der Arbeitgeber und gegebenenfalls auch die gewählte Schwerbehindertenvertretung hinzugezogen.
Auf diese Weise legen die Fachberaterinnen oder -berater in jedem Einzelfall das notwendige Budget für eine Assistenz fest. Die Höhe dieses Betrags richtet sich nach dem Einkommen der Arbeitnehmerin oder des Arbeitnehmers sowie nach der Arbeitszeit und dem Umfang der benötigten Hilfe. Der Grund: Das Budget muss im Verhältnis zum Integrationserfolg stehen und darf deshalb höchstens 50 Prozent des Bruttolohns ausmachen.
Wenn die Hilfe am Arbeitsplatz bewilligt ist – das Verfahren dauert üblicherweise mehrere Wochen –, überweist das Inklusionsamt der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer jeden Monat das zuvor festgelegte Budget. Dieses Geld muss die Person dann selbst verwalten, darf sich eine passende Assistenz suchen und diese auch selbst engagieren. Damit wird ganz bewusst das Selbstbestimmungsrecht der Antragstellerin oder des Antragstellers betont.

Wie findet man eine Arbeitsassistenz?

Jeder Mensch mit Behinderung, dessen Antrag auf Assistenz bewilligt wurde, muss selbst eine Arbeitsplatz-Hilfe suchen und engagieren. Dazu sind entsprechende Stellenanzeigen in lokalen Medien oder regionale Aushänge meist am besten geeignet. Mittlerweile gibt es zudem auch im Netz einige Angebote, zum Beispiel spezielle Assistenz-Börsen. Hier einige Beispiel-Portale zum Stöbern:

www.assistenzboerse.de
www.stellenmarkt-sba.de
www.assistenz.org/jobs
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Weitere Informationen zu Arbeitsassistenzen sind auf den Seiten der Inklusionsämter zu finden. Darüber hinaus hat die Bundesarbeitsgemeinschaft für Unterstützte Beschäftigung zusammen mit der Aktion Mensch extra ein Handbuch zum Thema herausgebracht, das ein sehr guter erster Leitfaden ist.




Was ist eigentlich… Jobcoaching?

Jobcoaching ist ein Angebot für Menschen mit Behinderung, die an ihrem Arbeitsplatz Schwierigkeiten haben zum Beispiel, weil die Anforderungen des Jobs nicht gut zur Behinderung und den damit verbundenen Bedürfnissen passen.

Um solche und andere Probleme zu lösen, besucht ein so genannter Jobcoach, also ein „Arbeitstrainer“, die jeweilige Person regelmäßig und über einen längeren Zeitraum hinweg am Arbeitsplatz. Der Coach schaut sich die Situation genau an, analysiert die Lage, gibt Tipps und entwickelt anschließend in Zusammenarbeit mit allen Beteiligten Strategien, mit denen die vorhandenen Probleme gelöst werden könnten.

Das Ziel ist immer, die Arbeitsbedingungen für alle Seiten zu verbessern und zugleich das selbstständige Arbeiten für die Mitarbeiterin oder den Mitarbeiter zu fördern. Und: Unter bestimmten Voraussetzungen können sich auch Menschen mit Behinderung coachen lassen, die gerade in einem Praktikum oder in der Ausbildung sind.

Wie genau funktioniert ein Jobcoaching?

Jedes Coaching wird genau auf die jeweilige Person, deren berufliche Situation und deren individuelle Bedürfnisse zugeschnitten. Die Abläufe, Ziele, Methoden und auch die Dauer der Maßnahme sind also jeweils unterschiedlich. Die individuellen Wünsche und Vorstellungen, aber auch Fähigkeiten und Talente stehen ganz im Mittelpunkt des Coachings. Je nach Situation werden mal mehr, mal weniger auch die Kollegen und Vorgesetzten eingebunden.

Im Durchschnitt dauert ein Coaching zwischen sechs und acht Monaten. Während dieser Zeit besucht der Arbeitstrainer die jeweilige Person regelmäßig am Arbeitsplatz – zu Anfang zwei Mal in der Woche für zwei bis vier Stunden, danach immer seltener, bis der Coach gar nicht mehr kommen muss. Es wird zielstrebig an Lösungen gearbeitet, jedoch ohne die Beteiligten zu überfordern.

Das Jobcoaching lässt sich darüber hinaus grob in drei Phasen teilen:

  • In der ersten Phase lernen sich der Coach und die betreute Person kennen. Dabei werden der Arbeitsplatz und die Strukturen des Unternehmens genau unter die Lupe genommen und erste Ideen entworfen, wie das gewünschte Ziel erreicht werden kann.
  • In einer zweiten Phase werden mögliche Strategien zur Lösung der Probleme besprochen. Das können konkret zum Beispiel Prioritätenlisten oder Ablaufpläne sein, die helfen, die Arbeit besser zu strukturieren.
    Wenn alle Beteiligten mit dem weiteren Vorgehen einverstanden sind, folgt eine Art Testphase, in der die neuen Lösungswege von der Mitarbeiterin oder dem Mitarbeiter oder auch von den Kollegen im Betrieb ausprobiert und eingeübt werden können.
  • In der dritten Phase werden die verbesserten Arbeitsabläufe weiter gefestigt, damit sie langfristig gut funktionieren.
Ein Mann arbeitet mit einer Braille-Zeile an seinem Computer.
Hilfstechnologie, wie etwa eine Braille-Zeile am Computer, schafft den Zugang zu PC und Smartphone auch für blinde Menschen. Foto: Michel Arriens/www.michelarriens.de via gesellschaftsbilder.de

Was ist, wenn die durch das Coaching gewünschte Verbesserung nicht eintritt?

Im Jahr 2015 führten über 82 Prozent der durchgeführten Jobcoachings in Westfalen-Lippe zum gewünschten Ziel – die Erfolgsquote ist also sehr hoch.
Wenn es trotzdem einmal nicht innerhalb der rund sechs bis acht Monate klappt, die ein Coaching normalerweise dauert, kann die Maßnahme verlängert werden. Damit können manches Mal neue Lösungswege gefunden und das vereinbarte Ziel kann doch noch erreicht werden.

Manchmal stößt ein Jobcoaching aber auch an Grenzen. Arbeitstrainer sind erfahrene Experten, die sehr gut einschätzen können, wann sämtliche Möglichkeiten ausgeschöpft sind und wann weder die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter noch das Unternehmen etwas beitragen können, um die Situation nachhaltig zu verändern.

Für wen ist das Jobcoaching gedacht?

Für berufstätige Menschen mit einer anerkannten Schwerbehinderung, also einem Schweregrad (Gdb) von mindestens 50. Auch Menschen mit einem Grad von weniger als 50, aber mehr als 30 Prozent, können ein Jobcoaching beantragen – vorausgesetzt, sie haben sich zuvor von der Agentur für Arbeit gleichstellen lassen. Eine weitere Voraussetzung ist, dass die wöchentliche Arbeitszeit bei mindestens 15 Stunden liegt.

Wo und wie kann das Jobcoaching beantragt werden?

In Westfalen hilft das LWL-Inklusionsamt in Münster umfassend weiter. Es gibt auch noch weitere Inklusionsämter in ganz Deutschland, die ähnliche Angebote haben.




Inklusionsunternehmen: Ein Erfolgsmodell für alle Beteiligten

Der Veranstalter der Messe ist der Landschaftsverband Westfalen-Lippe, kurz LWL. Der Direktor des Verbandes, Matthias Löb, und der LWL-Sozialdezernent Matthias Münning erklären im Interview, was es mit dem erfolgreichen Konzept „Inklusionsunternehmen“ auf sich hat.


Herr Löb, Herr Münning: Warum ist die LWL-Messe aus Ihrer Sicht so erfolgreich?

Matthias Löb: Eine erfolgreiche Messe kann man daran erkennen, dass sie nicht nach ein oder zwei Anläufen sang- und klanglos in der Versenkung verschwindet. Unsere Messe ist ein lebendiges Forum und ein spannender Marktplatz. Bei der dritten Veranstaltung im Jahr 2014 kamen schon rund 5.100 Besucherinnen und Besucher. Die Messe zeigt einerseits die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit der Betriebe und demonstriert anderseits deren Beschäftigungsleistungen.

Matthias Münning: Alle Aussteller – und viele sind seit dem ersten Mal dabei – legen sich für den Erfolg der Messe ungemein ins Zeug. Die vierte Auflage wird wieder viele Besucher anlocken, die mit diesem Thema bisher wenig vertraut sind. Neue Kunden werden so auf die Aussteller aufmerksam, potenzielle Firmengründer werden motiviert und junge Menschen mit Behinderung erhalten Anregungen für ihre Berufsorientierung und Jobsuche.

Wie haben sich die Inklusionsunternehmen in den vergangenen Jahren entwickelt?

Matthias Löb: Sehr gut. Seit dem Jahr 2008 stieg die Zahl der Inklusionsbetriebe und -abteilungen in Westfalen- Lippe von 57 auf 160. Im selben Zeitraum hat sich die Anzahl der neu geschaffenen Arbeitsplätze für Menschen in dieser besonderen Zielgruppe ebenfalls verdreifacht: Sie ist von 594 auf rund 1.900 angestiegen.

Matthias Münning: Was wir zudem herausheben können: Wir fördern inzwischen 50 Inklusionsabteilungen bei gewerblichen Unternehmen. Damit liegen wir im bundesweiten Vergleich wie bei der Zahl der Firmen insgesamt an der Spitze. Besonders erfreulich ist, dass die Unternehmen oft mehr Arbeitsplätze schaffen, als wir ursprünglich zu Beginn der Förderung mit ihnen vereinbart haben. Außerdem ist der Insolvenzanteil bei den Inklusionsunternehmen gering: Zwischen 2010 und 2014 sind gerade einmal acht Betriebe insolvent gegangen. Das ist prozentual deutlich weniger als bei Firmengründungen allgemein.

Überleben die Inklusionsunternehmen denn nur in besonderen Nischen? 

Matthias Münning: Nein, eben nicht. Es sind ganz normale Betriebe, die sich auf dem freien Markt behaupten müssen. Sie wirtschaften nicht in Schutzräumen, ihre Arbeitswelten sind also mitten drin im Leben. Sie arbeiten zum Beispiel im Garten- und Landschaftsbau, der Gebäudereinigung, als Hausmeisterdienste, Wäschereien, Metzgereien, Käsereien, in der Zweiradherstellung, als Näh- und Polsterdienstleister und in der industriellen Fertigung für die Automobilindustrie. Der Erfolg der Integrationsunternehmen ist groß.

Dennoch mussten Sie zwischenzeitlich die Förderung neuer Projekte begrenzen, weil die Haushaltslage bei den Ausgleichsabgabemitteln des LWL-Inklusionsamts schwierig ist. Wie geht es weiter?

Matthias Löb: Das so genannte „Fördermoratorium“ aus dem Jahr 2014 ist zumindest vorübergehend aufgehoben. Mit dem Förderprogramm „Inklusionsinitiative II – AlleImBetrieb“ stellt der Bund den Ländern 150 Millionen Euro zur Verfügung, um neue Arbeitsplätze in Inklusionsunternehmen zu fördern. Aus unserem Anteil daran für Westfalen-Lippe und zusammen mit der Unterstützung des Landes NRW können wir in den kommenden Jahren 300 bis 400 neue Arbeitsplätze fördern. Ich bin mir sicher, dass uns das gut gelingen wird. Wir werden der Bundespolitik beweisen, dass das Geld bei uns gut angelegt ist und viele wertvolle Arbeitsplätze entstehen.

Matthias Münning: Wir reden Inklusion in der Arbeitswelt nicht nur herbei, das ist deutlich zu sehen. Das Engagement unseres Inklusionsamts führt zu Arbeitsverträgen auf dem Ersten Arbeitsmarkt und füllt Lohntüten mit regulärer Bezahlung. Mittel- und langfristig brauchen wir aber eine Lösung, um die dauerhaften Nachteilsausgleiche finanzieren zu können.

Wie beurteilen Sie die Chancen dafür?

Matthias Löb: Das lebhaft diskutierte neue Bundesteilhabegesetz schafft den unseligen Begriff „Inklusionsprojekt“ ab, wie die Firmen früher hießen. Ein „Projekt“, kann als zeitlich begrenzt verstanden werden, was aber nicht in unserem Sinne und dem der Unternehmen sowie der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit und ohne Behinderung sein kann.

Matthias Münning: Stattdessen werden die Unternehmen nun „Inklusionsbetriebe“ genannt. Das kann als Aufwertung verstanden werden, und darin drückt sich auch eine Anerkennung dafür aus, dass die Firmen eine hohe Anzahl an Arbeitsplätzen geschaffen haben. Ich hoffe sehr, dass es nicht nur bei einer sprachlichen Renovierung bleibt. Unter Verantwortung des Bundes müssen wir mit allen Leistungsträgern verlässliche Lösungen finden, um die laufenden Leistungen für die Unternehmen auch für die Zukunft gewährleisten zu können.

Wer hat am Erfolgsmodell „Inklusionsbetrieb“ welchen Anteil?

Matthias Münning: Als Sozialdezernent bei einem der größten Hilfezahler für Menschen mit Behinderungen macht es mir sehr viel Spaß, zu sehen, wie sich in diesem Konzept Unternehmergeist und Marktorientierung mit sozialem Engagement und Inklusion verbinden. Unsere Leistungen führen nicht zu Passivität, sondern sie aktivieren und entlasten letztlich die öffentliche Hand.

Matthias Löb: Eines muss klar sein: Wir als LWL schaffen damit selbst keine Arbeitsplätze, sondern wir können nur für verlässliche Rahmenbedingungen sorgen. Ich habe großen Respekt vor den Gründern, Eignern und Verantwortlichen der Inklusionsbetriebe. Sie gehen oftmals hohe wirtschaftliche Risiken ein und tragen ohne Bestandsgarantie alleine die unternehmerische Verantwortung. Das machen sie sehr gut – und dabei wollen wir sie weiter unterstützen.




Ein Portal zur Jobsuche für Menschen mit Behinderung

Es gibt Zeiten im Leben, die für fast jeden sehr aufreibend und aufregend sind, weil damit ein neuer Abschnitt beginnt. Dazu zählt zum Beispiel, den ersten oder einen neuen Job zu finden. Man muss sich in dieser Zeit viel mit sich selbst und den eigenen Fähigkeiten und Vorstellungen auseinandersetzen, Lebensläufe und Bewerbungen schreiben, Stellenanzeigen lesen, sich schließlich bewerben und hoffen, zum Vorstellungsgespräch eingeladen zu werden. Wenn das gut klappt und beide Seiten zusammenpassen, darf man schließlich den ersehnten Arbeitsvertrag unterschreiben.

Wenn sich dieser Prozess besonders lange hinzieht und trotzdem nicht zum Erfolg führt, wird aus der anfangs noch vorhandenen Motivation oft schnell großer Frust. Spätestens, wenn sich die Absagen häufen, ist fast jeder verzweifelt. Das erleben Menschen mit Behinderung leider nach wie vor besonders häufig: Sie suchen im Schnitt ganze drei Monate länger nach einer geeigneten Stelle als nicht behinderte Menschen. Der Grund dafür sind entweder Arbeitgeber, die sich davor scheuen, Menschen mit Behinderung einzustellen, oder durch die Behinderung vorhandene Einschränkungen, die sich nicht mit dem Job vereinbaren lassen.

Dieses Problem will die Online-Jobbörse „Capjob“* lösen und so eine große Lücke schließen. Hier inserieren ausschließlich Unternehmen, die explizit Menschen mit Behinderung ansprechen wollen. Ansonsten funktioniert das Jobportal aber wie jedes andere auch: Interessierte können nach Jobs suchen, ein Profil mit Lebenslauf und weiteren Informationen anlegen und sich über neue Angebote auf dem Laufenden halten lassen. Dazu gibt es noch einige Sonderfunktionen. Die Interessenten können zum Beispiel die eigene Behinderung in die Suche mit einbeziehen und die Stellenangebote danach filtern – oder gleich im digitalen Lebenslauf die Hilfsmittel angeben, die sie am künftigen Arbeitsplatz brauchen werden.

* UPDATE: Das Portal heißt inzwischen myAbility.jobs. Ihr findet es hier.




5 Dinge, die ihr noch nicht über Budapest wusstet

#1: Der Zauberwürfel

Viele kennen ihn, viele lieben ihn, manche hassen ihn: Den bunten Zauberwürfel „Rubik’s cube“, den man bis zur Verzweiflung in alle Richtungen verdrehen kann und ihn doch nie wieder so hinkriegt, wie er am Anfang aussah. Dieses Spielzeug ist die Erfindung eines Bauingenieurs namens Ernő Rubik – und der stammt aus Budapest.

#2: Die Synagoge

In der ungarischen Hauptstadt steht weltweit die zweitgrößte Synagoge der Welt. Nur in New York gibt es ein noch größeres Gebäude.

#3: Der Bauch-Brauch

In manchen Städten wirft man Münzen in Brunnen, in anderen reibt man die Vorderseite von Metallstatuen, um nicht dick zu werden. Zum Beispiel in Budapest, wo vor der Basilica von San Esteban ein korpulenter Polizist aus Bronze steht, mit dem ein kurioser „Bauch-Brauch“ verbunden ist: Wer den rundlichen Vorbau des metallenen Gesetzeshüters reibt, soll dadurch selbst sein Leben lang vor Übergewicht geschützt sein.

#4: Die Behindertenpolitik

Auch in Ungarn gilt die Pflicht für Unternehmen ab einer bestimmten Größe, mindestens fünf Prozent Menschen mit Behinderung zu beschäftigen. Die Behindertenpolitik in Ungarn insgesamt wird von der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) auch auf einem guten Weg gesehen: Die Leistungen für Menschen mit Behinderung seien hier zwar noch nicht auf dem hohen Niveau der nordischen Länder, aber gut zugänglich und großzügig.

#5: Inklusionsunternehmen

Inklusionsunternehmen heißen in Ungarn zwar nicht offiziell so, es gibt aber Firmen, die sich diesem Modell annähern und die gleichen Ziele verfolgen – zum Beispiel die gemeinnützige GmbH Napra Forgó (zu Deutsch: „Sonnenblume“), eine Nonprofit-Zeitarbeitsfirma. Sie wurde schon vor 16 Jahren gegründet und liegt ganz knapp außerhalb der Hauptstadt. Ihr Ziel: Menschen mit Behinderung in den allgemeinen Arbeitsmarkt integrieren.




Was sind eigentlich… Technische Beratungsdienste?

Technische Beratungsdienste fördern Menschen mit Behinderung im Beruf. Die Experten, die in ganz Deutschland bei solchen Diensten arbeiten, unterstützen zum Beispiel, wenn die Aufgabenverteilung in einem Betrieb wechselt. Sie helfen, Arbeitsplätze behinderungsgerecht umzugestalten und sie ermitteln, ob auf den Arbeitgeber ein finanzieller Mehraufwand zukommt. Sie beantworten auch organisatorische oder bürokratische Fragen und stehen bei Kündigungsverfahren sowohl der Arbeitnehmerin oder dem Arbeitnehmer als auch dem Unternehmen oder der Organisation mit Rat und Tat zur Seite.


Herr Schrapper, wer kann die Hilfen des Technischen Beratungsdienstes beantragen?

Entweder können Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Behinderung selbst einen entsprechenden Antrag auf Hilfen stellen, oder sie bitten ihre Fallmanagerin oder ihren Fallmanager darum, sie dabei zu unterstützen. Auch die Verantwortlichen eines Unternehmens, einer Organisation oder einer Fachstelle in einem Kreis oder einer Stadt können die Hilfe beantragen, wenn sie einen ihrer Mitarbeiter mit Behinderung durch technische oder organisatorische Maßnahmen unterstützen wollen.

Wie werden die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer und die Verantwortlichen des jeweiligen Unternehmens einbezogen – zum Beispiel dann, wenn ein Arbeitsplatz behinderungsbedingt umgebaut werden muss?

Es ist wichtig, dass alle an einem Strang ziehen. Deshalb tauschen wir uns von Anfang an regelmäßig mit allen Beteiligten aus. Wir hören genau zu und erarbeiten konkrete Vorschläge, wie die Arbeitsstätte oder der Arbeitsplatz auf die jeweilige Behinderung angepasst werden könnten. Der Technische Beratungsdienst unterstützt aber auch die jeweiligen Fallmanagerinnen und Fallmanager dabei, eine Fördersumme festzusetzen, wenn etwa ein neues Arbeitsgerät angeschafft werden soll oder bauliche Maßnahmen nötig sind. Dafür wird vorher die Situation vor Ort genau unter die Lupe genommen und mit allen Beteiligten darüber gesprochen.
Bei jeder dieser Beratungen gilt immer der Grundsatz: Menschen mit Behinderung sind Experten in eigener Sache. Sie wissen selbst meist am allerbesten, was nötig ist, damit sie gut arbeiten zu können. Zugleich muss sich jeder Mensch an seinem Arbeitsplatz mit der Hilfe wohlfühlen, die ihm dort angeboten wird. Die Mitarbeiterin oder der Mitarbeiter wird also von Anfang an eng von uns in den Prozess eingebunden. Das gleiche gilt auch für die führenden Personen eines Unternehmens oder einer Organisation, die die Verantwortung für ihre Teams tragen. Denn sie sind ja nicht weniger auf einen reibungslosen und erfolgreichen Verlauf angewiesen, zum Beispiel beim Umbau eines Arbeitsplatzes.

Porträtfoto von Frank Schrapper
Als Leiter des Technischen Beratungsdienstes des LWL-Inklusionsamt Arbeit ist Frank Schrapper Experte für barrierefreie Arbeitsplätze. Foto: LWL

Für wen gilt welches Angebot?

Jeder Mensch ist anders. Es sind vor allen die ganz individuellen Voraussetzungen und Fähigkeiten, die stark bestimmen, wie es bei jemandem im Job läuft. Wir beziehen das von Anfang an mit ein, unterstützen und begleiten also jeden Menschen unterschiedlich. Es gibt daher auch kein pauschales Angebot. Eine Rollstuhlfahrerin in der Montage beispielsweise benötigt eine andere Umgestaltung und andere Hilfen als ein junger Mann am gleichen Arbeitsplatz, der Lernschwierigkeiten hat. Wir schauen uns die Situation immer genau an, fragen nach, hören zu – und entscheiden dann, was im Einzelfall richtig und sinnvoll ist. Für Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer mit Hör- oder Sehbehinderungen gibt es übrigens noch einmal jeweils einen eigenen Fachdienst, der auf diese Behinderungen spezialisiert ist.

Der Arbeitsplatz ist umgebaut, die Arbeitsabläufe sind optimal angepasst. Wie geht es weiter?

Meistens besuchen unsere Fallmanager nach sechs Monaten noch einmal das Unternehmen oder den Betrieb, in dem sie zuvor einen Menschen mit Behinderung begleitet haben. Sie sprechen dort erneut mit den Beteiligten, um nachzuhorchen, wie wirksam und nachhaltig die Änderungen am Arbeitsplatz funktioniert haben. Wenn die gewünschte Verbesserung doch nicht eingetreten ist, können sie die Begleitung einfach wieder aufgreifen und gemeinsam an neuen Lösungen arbeiten.
Bei manchen Behinderungen kann es auch sein, dass sich der körperliche oder geistige Zustand eines Menschen nach und nach verschlechtert. Dann begleiten unsere Experten die jeweilige Person auch über die übliche Dauer einer Betreuung hinaus intensiv – und vor allem dann, wenn im Betrieb im Laufe der Zeit noch einmal etwas verändert wird. –