Von Menschen und ihre Geschichten

„Ich sehe mich als gleichwertig mit meinen Kollegen, wir unterstützen uns gegenseitig“

Giselher Weinmann ist fast blind. Er wollte früher einmal Krankenpfleger werden, durfte die Ausbildung wegen seiner Behinderung aber nicht absolvieren. Nach vielen Fortbildungen und Zwischenstationen arbeitet er heute als Physiotherapeut im St. Vinzenz Hospital in seinem Heimatort Dinslaken. Wir haben mit dem 57-Jährigen über seine bewegte Karriere und seinen Berufsalltag gesprochen.

Gieselher Weinmann, draußen mit dem Meer im Hintergrund

Herr Weinmann, viele Menschen können sich nicht vorstellen, wie Sie mit einer so starken Sehbehinderung im Berufsalltag zurechtkommen. Wie machen Sie das genau?

Da ich nicht blind bin, kann ich mir mit meiner Restsehkraft in vielen Situationen gut allein weiterhelfen. Und wenn es doch mal schwieriger wird, kann ich ganz auf die Unterstützung meiner sehr hilfsbereiten Kollegen zählen. Die stehen mir immer zur Seite, damit habe ich bisher also wirklich keine negativen Erfahrungen gemacht. Als Hilfsmittel nutze ich Taschenlupen und für die Arbeit am Computer stellt mir mein Arbeitgeber einen speziellen PC mit einem Lupenprogramm zur Verfügung. Das geht also alles ziemlich gut.

Es heißt, dass blinde oder fast blinde Menschen – also auch Sie – einen besonders ausgeprägten Tastsinn haben. Stimmt das oder ist das ein Klischee?

Ich glaube nicht, dass das ein Klischee ist. Wenn eine Sinneswahrnehmung ausfällt, kann der Körper dieses Defizit ja bekanntlich mit anderen Funktionen kompensieren. Nehmen Sie das Beispiel der Blindenschrift: Wenn ein Sehender versucht, die einzelnen Punkte der Schrift zu ertasten, ist das für ihn sehr schwer und dauert sehr lange. Schaut man dagegen einem blinden Menschen beim Lesen der Schrift zu, kann man nur staunen, mit welcher Geschwindigkeit er einen Text bewältigt und versteht. Das ist bei mir nicht anders, Tasten ist auf jeden Fall meine Stärke.

Setzen Sie das auch in Ihrem Beruf ein?

Ja, natürlich! Als Physiotherapeut muss ich ja mit den Händen und Fingern Veränderungen im Gewebe erspüren. Da sehe ich mich durch meinen ausgeprägteren Tastsinn im Vorteil gegenüber Kollegen, die keine Sehbehinderung haben. Das haben die mir auch schon oft bestätigt.

Sie konkurrieren also mit Ihren Kollegen ohne Sehbehinderung?

Nein, in meinem Beruf im Krankenhaus nicht direkt. Ich sehe mich als gleichwertig mit meinen Kollegen, wir unterstützen uns gegenseitig. Wo ich besser tasten kann, können sie besser sehen und damit andere Anforderungen des Berufs einfacher bewältigen – und mich wiederum dabei unterstützen. Das ist ein sehr harmonisches Miteinander.

Ihre Sehbehinderung bringt in Ihrem Beruf also sowohl Vor- als auch Nachteile mit sich. Wie äußert sich das im Alltag?

Zum Beispiel an meinem Einsatzgebiet im Krankenhaus. Das ist aktuell auf eine Station reduziert, weil mir in anderen Gebäudeteilen die Orientierung schwerfällt und diese dort erst noch trainieren muss. Ein großer Vorteil ist wiederum, dass mir wegen meiner Behinderung finanzielle Förderungen des für meinen Wohnort zuständigen Inklusionsamtes zustehen. Dadurch konnte ich schon einige Fortbildungen besuchen, die sonst viel Geld kosten und eher schwer zu finanzieren sind. Diese Möglichkeit haben viele Kollegen so nicht.

Auf der RehaCare-Messe im Jahr 2010 haben Sie unter anderem eine Massage-Station aufgestellt und den vorbeilaufenden Besucherinnen und Besuchern Nackenmassagen angeboten. Abgesehen davon, dass Sie damit eine Kostprobe Ihrer beruflichen Fähigkeiten gegeben haben: Welche Botschaft wollten Sie mit dieser Aktion vermitteln?

Ich wollte allen Besuchern der Messe zeigen, dass ein Mensch mit Behinderung ein genauso leistungsfähiger Mitarbeiter oder Kollege sein kann wie jemand ohne Handicap, wenn nur die Voraussetzungen stimmen. Und ich wollte anderen Menschen mit Behinderung Mut machen, ihren beruflichen Weg zu gehen und sich nicht von ihrer Behinderung davon abhalten zu lassen. Dafür habe ich auch gutes Feedback bekommen. Neben der Massagestation habe ich auf einer der Messe-Bühnen zusammen mit den Besucherinnen und Besuchern ein kleines Übungsprogramm für den Rücken durchgeführt – auch das kam sehr gut bei den Teilnehmern an. Viele hätten mir das vorher nicht zugetraut.

Sie sind jetzt im September auf einer weiteren Veranstaltung mit dabei, der Fachmesse ZukunftPersonal dabei. Was dürfen die Besucherinnen und Besucher dieses Mal von Ihnen erwarten – und was erhoffen Sie selbst sich von der Messe?

Ich habe dort wieder meinen Stand mit der Massagestation, da muss ich den Vorgaben folgen. So komme ich aber auch am allerbesten mit Besucherinnen und Besuchern ins Gespräch. Das ist einer der Hauptgründe, warum ich das mache: Ich möchte mit den Leuten über das Thema Inklusion und Menschen mit Behinderung reden und dabei aus der Sicht eines Betroffenen sprechen – auch, um Vorurteile auszuräumen.


Über unseren Interviewpartner

Porträtfoto von Giselher Weinmann
Foto: privat

Name: Giselher Weinmann
Geburtsjahr: 1961
Wohn-/Arbeitsort: Dinslaken
Beruf: Physiotherapeut
(Persönlicher Bezug zum Thema) Behinderung: hat eine hochgradige Sehbehinderung und konnte deshalb vor über 30 Jahren seine Wunsch-Ausbildung zum Krankenpfleger nicht absolvieren. Er wechselte deshalb in die Physiotherapie und bekam danach eine Anstellung als Masseur und Medizinischer Bademeister. In diesem Beruf arbeitete er drei Jahrzehnte, bevor er sich – parallel zum Job – zum Physiotherapeuten weiterbildete. Heute arbeitet er im St. Vinzenz Hospital in seinem Heimatort Dinslaken unter anderem mit älteren Menschen, die wieder selbstständiger leben möchten.


Die Fachmesse ZukunftPersonal

Die ZukunftPersonal gilt als innovativste Fachmesse für Personalmanagement im Europa. Drei Tage lang – in diesem Jahr vom 11. bis zum 13. September 2018 – werden hier neue Ideen und Entwicklungen aus der Branche vorgestellt. Geschäftsführerinnen und Geschäftsführer, Personalverantwortliche, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von Personalabteilungen und Organisationsentwicklerinnen und -entwickler können sich auf der Messe einen Überblick über den Markt an Produkten und Dienstleistungen verschaffen und sich mit Fachkollegen über die aktuellen Trends austauschen – zum Beispiel über Vorträge, interaktive Formate, themenbezogene geführte Touren über die Messe oder direkt an den Ständen der Organisationen und Unternehmen, die dort ausstellen.

Auch das LWL-Inklusionsamt Arbeit ist wieder mit dabei und erklärt Interessierten dieses Jahr unter anderem, was Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) ist, wie es funktioniert und warum es für die Inklusion auf dem Arbeitsmarkt sehr wichtig ist.

Tickets für die Fachmesse kosten für einen Tag 80 Euro und für alle drei Tage 125 Euro.

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