Von Menschen und ihre Geschichten | Projekte und Unternehmen

„Viele Kinder müssen erst einmal herausfinden, was ihnen Spaß macht“

Die Einrichtung „Inklusive Offene Tür Ohmstraße“ in Köln bietet Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen mit und ohne Behinderung verschiedene Möglichkeiten der Freizeitgestaltung an. Leiterin Bianca Rilinger erzählt im Interview, worauf es bei diesen inklusiven Angeboten ankommt, wie die jungen Menschen ihre Zeit selbstbestimmt gestalten und wie das Team manchmal auch beim Einstieg in den Job unterstützt.

Bianca Rilinger hält eine Pusteblume in der Hand und beugt sich zu einem Mädchen mit Brille und pinkem Pullover herunter.

Frau Rilinger, wie können junge Menschen ihre Freizeit bei Ihnen verbringen?

Sie können bei uns jeden Nachmittag Billard spielen, kickern oder basteln. Außerdem haben wir einen Garten mit einem großen inklusiven Spielplatz, der durch seinen ebenerdigen Gummiboden für alle Kinder und Jugendlichen zugänglich ist und den alle jederzeit nutzen können. Neben diesen offenen Angeboten gibt es verschiedene Gruppen und Kurse, etwa Mädchen- und Jungengruppen, gemeinsames Kochen oder Comic-Workshops. Manchmal unternehmen wir auch Ausflüge.

Ihre Angebote sind inklusiv, richten sich also an Menschen mit und ohne Behinderung. Wie stellen Sie sicher, dass alle teilnehmen können?

Wir stellen uns zum Beispiel von Anfang an die Frage, wie wir mögliche Barrieren verhindern oder abbauen können oder ob ein Angebot wirklich für alle attraktiv ist. Dabei geht die Qualität immer vor. Im Zweifelsfall organisieren wir lieber ein tolles Angebot für 15 Jugendliche, die wir währenddessen wirklich gut betreuen können, als dass 40 Jugendliche genervt nach Hause gehen, weil wir für die Einzelnen nicht genügend Zeit hatten.

Gibt es Ausnahmen für die Teilnahme?

Grundsätzlich hat bei uns jeder junge Mensch das Recht, dabei zu sein und bei und mit uns seine Freizeit zu verbringen. Aber wenn ein Kind beispielsweise eine sehr intensive Pflege braucht oder häufig wegläuft, müssen wir schon schauen, was unser Team in welchem Zeitraum leisten kann. Wir fangen dann mit zwei Stunden pro Woche an. Und wenn wir einander besser kennengelernt haben, ist oft mehr möglich. Ich muss dazu aber auch sagen, dass Inklusion aus meiner Sicht vor allem von manchen Eltern falsch verstanden wird.

Wie meinen Sie das?

Teilhabe bedeutet für uns, dass wir es allen ermöglichen möchten, mitzumachen. Wenn wir zum Beispiel Eislaufen gehen, liegt es in unserer Verantwortung, das so zu gestalten, dass auch ein Kind mit einer Gehbehinderung mitmachen kann. Wenn ein anderes Kind nur mitkommen will, aber gar nicht auf die Eisbahn möchte, geht das auch, dann erweitern wir eben das Angebot. Das Kind kann zum Beispiel Fotos machen und einen Blogbeitrag über den Ausflug schreiben. Wir sind also sehr offen, aber das heißt nicht, dass alle zwingend auch alle Aktivitäten mitmachen müssen, damit es Inklusion ist. Das setzen wir unter Umständen auch im Interesse eines Kindes oder Jugendlichen gegen die Eltern durch.

Drängen manche Eltern ihre Kinder zum Mitmachen?

Es gibt Eltern, die unbedingt wollen, dass ihr Kind überall dabei ist – auch wenn es selbst vielleicht gar keine große Lust dazu hat. Die Eltern meinen das ja nur gut und sind meistens einfach froh, dass sie endlich ein inklusives Angebot gefunden haben. Aber weil so viele andere Einrichtungen und auch Vereine eben nicht inklusiv sind, haben viele der jungen Menschen bis zu ihrem Besuch bei uns kaum Hobbys oder Aktivitäten ausprobieren können. Wir erleben oft, dass sie anfangs mit der großen Auswahl überfordert sind und deshalb gar nicht mitmachen möchten. Sie müssen erst einmal herausfinden, was ihnen Spaß macht. Und dabei unterstützen wir sie.

Wie genau machen Sie das?

Vor unseren Ferienprogrammen vereinbaren wir mit den Familien, die neu bei uns sind, ein Treffen. So können wir uns in Ruhe kennenlernen. Die Kinder und Jugendlichen dürfen danach selbst entscheiden, ob sie hier wirklich ihre Ferientage verbringen möchten.

Und wie finanzieren Sie Ihre Arbeit?

Unsere Einrichtung ist als Träger der Jugendhilfe anerkannt und bekommt deshalb Geld von der Stadt Köln. Das reicht aber noch nicht aus, um unsere Kosten zu decken. Wir bekommen daher zusätzlich eine Förderung über die katholische Jugendagentur und beantragen auch regelmäßig Fördermittel für einzelne Projekte. Ein relativ großer Teil meiner Arbeit besteht sogar darin, Anträge zu stellen, damit wir unser komplettes Angebot finanzieren können.
Das ist etwas schade und ärgerlich, auch deshalb, weil ja eigentlich die gesamte Kinder- und Jugendarbeit in allen Einrichtungen inklusiv sein sollte. Das ist aber wohl nicht der Fall. Die Hälfte unserer Besucher:innen hat eine Behinderung, das ist viel mehr als der Anteil von Menschen mit Behinderung an der gesamten Bevölkerung. Ich kann mir das nur dadurch erklären, dass andere Einrichtungen eben nicht oder kaum inklusiv arbeiten, und deshalb so viele junge Menschen mit Behinderung zu uns kommen.

Wie viele Leuten arbeiten in Ihrem Team?

Zwei Mitarbeiter:innen sind hauptamtlich dabei und wir haben noch einige Honorarkräfte, die auf Stundenbasis in unserem Haus arbeiten. Wir organisieren uns so, dass immer drei bis vier aus dem Team da sind.

Haben Sie alle eine pädagogische Ausbildung?

Ich selbst bin Inklusionspädagogin, mein hauptamtlicher Kollege ist Sozialarbeiter. Unsere Honorarkräfte haben ganz unterschiedliche Berufsausbildungen, sie kommen zum Beispiel aus dem Management, studieren gerade Heil- und inklusive Pädagogik oder haben eine medizinische Ausbildung. Ein pädagogischer Hintergrund ist also kein Muss. Wir freuen uns aber immer, wenn jemand handwerkliches Geschick mitbringt, mit unseren Besucher:innen kreativ arbeiten oder das Programm mitgestalten kann.

Arbeiten bei Ihnen auch Menschen mit Behinderung?

Eine Honorarkraft und eine Projektmitarbeiterin bei uns haben jeweils selbst eine Behinderung. Und durch die Praktika, die wir anbieten, sind außerdem oft Schüler:innen von Förderschulen hier in Köln in unserem Team mit dabei. Oft haben diese Jugendlichen unsere Einrichtung vorher selbst besucht und möchten beim Praktikum unsere Arbeit von der anderen Seite kennenlernen. Das ermöglichen wir gerne und haben so immer mindestens fünf Praktikant:innen pro Jahr.
Manchmal absolvieren auch junge Menschen ihr Praxissemester bei uns, die Sozialpädagogik studieren. Sie gestalten und organisieren dann ein eigenes Projekt, das gehört zum Studiengang. Wir können diese Projekte zwar leider nicht vergüten, aber die Studierenden bleiben danach häufig als Honorarkräfte bei uns, verdienen etwas Geld und machen damit sozusagen nebenbei ihren Berufseinstieg.

Unterstützen Sie auch ihre Besucher:innen beim Start in den Beruf?

Ja, wir überlegen sogar meist gemeinsam mit den Familien, ob und wie die Person einen Job auf dem ersten Arbeitsmarkt finden könnte. Manchmal unterstützen wir auch bei der Suche und vermitteln Kontakte zu Betrieben, die wir kennen. Ein sehr schönes Beispiel: Eine ehemalige Besucherin, die eine geistige Behinderung hat, arbeitet jetzt als Betreuerin in einer inklusiven Kita.


Über unsere Interviewpartnerin

Porträtfoto von Bianca Rilinger
Foto: Ariane Schiemann

Name: Bianca Rilinger
Geburtsjahr: 1986
Wohn- und Arbeitsort: Köln
Beruf: Heil- und Inklusionspädagogin, staatlich anerkannte Heilerziehungspflegerin
(Persönlicher Bezug zum Thema) Behinderung: Schon als Kind war ihr eine diverse Gesellschaft, in der jeder Mensch selbstbestimmt leben kann, wichtig. Deshalb war ihr auch schon früh klar, dass sie sich für die Rechte und Gleichbehandlung aller Menschen in der Gesellschaft einsetzen möchte.

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