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„Die Beratung soll immer eine Begegnung auf Augenhöhe sein“

Mit dem Projekt „Jobbrücke InklusionPLUS“ will die Diakonie in Berlin Menschen mit Behinderung dabei unterstützen, eine Arbeitsstelle zu finden. Das Konzept heißt ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘: Ehrenamtliche Jobpatinnen und -paten beraten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer, außerdem bietet die Diakonie Weiterbildungen an. Projektkoordinatorin Lina Antje Gühne stellt die „Jobbrücke“ vor.

Eine Frau mit Rollstuhl sitzt an einem runden Tisch und ist gerade im Beratungsgespräch mit einem Jobpiloten. Er schreibt auf einem Notizblock mit.

Frau Gühne, was unterscheidet Ihr Projekt von anderen Beratungsangeboten?

Wir bieten Eins-zu-eins-Patenschaften an, dadurch ist die Beratung sehr individuell. Und wir setzen keine zeitliche Grenze. Es dauert so lange, wie eine Person eben Unterstützung braucht. So etwas bieten sonst eigentlich nur professionelle Coaches an, die dafür aber hohe Honorare abrechnen. Unser Angebot dagegen ist für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer kostenlos. Das Projekt wird nämlich von der Aktion Mensch gefördert.

Wie unterstützen die Jobpatinnen und -paten Menschen mit Behinderung?

Das hängt ganz davon ab, welche Ziele die oder der Arbeitssuchende hat. Für viele steht an erster Stelle, sich im Berufsleben neu zu orientieren, weil sie wegen einer Erkrankung ihren Job aufgegeben oder ihre Ausbildung unterbrochen haben. Wenn jemand wegen eines Burnouts oder einer Depression pausiert hat, geht es oft um die Frage: Gehe ich zurück in meinen Beruf oder komme ich mit einer Erwerbsminderungsrente aus? Manchmal kann das Ziel auch sein, als Ergänzung zur Erwerbsminderungsrente ein passendes Ehrenamt zu finden. Das ist also wirklich ganz unterschiedlich. Deshalb beginnt die Beratung auch immer damit, dass die Teilnehmer:innen und die Pat:innen zusammen das Ziel ganz klar formulieren. Anschließend suchen sie gemeinsam nach passenden Stellenangeboten, schreiben Bewerbungen oder recherchieren, welche Fort- oder Weiterbildung ein guter nächster Schritt wäre.

Für wen ist das Angebot gedacht?

Wir haben die Zielgruppe bewusst weit gefasst. Bei uns können sich Menschen mit Behinderung, einer seelischen Erkrankung oder anderen Einschränkungen anmelden. Und zwar ausdrücklich auch dann, wenn sie ihre Schwerbehinderung nicht haben anerkennen lassen oder gerade noch darüber nachdenken, ob sie das tun wollen. Manche Menschen entscheiden sich bewusst dagegen. Aber das ist kein Hindernis, sie können trotzdem am Projekt teilnehmen.

Wer sind die Patinnen und Paten?

Einige unserer Pat:innen sind schon im Ruhestand, die meisten stehen aber selbst noch im Berufsleben. Sie haben ganz unterschiedliche Jobs. Neben Unternehmensberater:innen und Coaches sind zum Beispiel auch ein Polizist und eine Kapitänin und Nautikerin dabei. Das sind tolle Leute und es macht mir viel Spaß, mit ihnen zu arbeiten. Die meisten hatten vor dem Projekt gar keinen Bezug zur Zielgruppe. Sie möchten einfach etwas in die Gesellschaft zurückgeben und Menschen unterstützen, die es nicht so einfach haben. Viele finden es auch spannend, andere Menschen kennenzulernen und über ihren eigenen Tellerrand hinauszuschauen. Und für manche ist es eine Motivation, in unserem Projekt Fähigkeiten einzubringen, die sie in ihrem Beruf nicht einsetzen können.

Gibt es eine Art Einstiegsvoraussetzung für dieses Ehrenamt?

Ich treffe mich mindestens zweimal mit allen Interessent:innen, um über das Projekt und das Ehrenamt zu sprechen. Anschließend nehmen die Pat:innen an einer Einstiegsqualifizierung teil, bei der wir ihnen ein paar Tipps für die Beratung geben. Wir haben außerdem einen Ehrenkodex, der für alle gilt. Wir achten zum Beispiel sehr auf Pünktlichkeit und auf Respekt für religiöse, sexuelle und herkunftsbezogene Besonderheiten. Die Beratung soll immer eine Begegnung auf Augenhöhe sein. Unsere Pat:innen sind also handverlesen. Für die Teilnehmer:innen in unserem Projekt geht es ja um sehr wichtige Entscheidungen. Das kann manchmal auch für Pat:innen eine große Herausforderung sein. Wir bieten ihnen deshalb regelmäßig Workshops an, bei Bedarf auch eine Supervision.

Zu Ihrem Projekt gehören auch Weiterbildungen für Menschen mit Behinderung. Um welche Themen geht es dabei?

In unserem Einstiegsworkshop informieren wir über die Rechte von Menschen mit Behinderungen auf dem Arbeitsmarkt. Viele wissen darüber nämlich recht wenig. Wir beantworten in dem Kurs deshalb ganz grundlegende Fragen: Muss ich meine Behinderung offenlegen, wenn ich mich auf eine Stelle bewerbe? Wie viele Urlaubstage bekomme ich? Ist es sinnvoll, meine Schwerbehinderung anerkennen zu lassen? Wie viel Rente werde ich später bekommen?
Wir bieten außerdem Workshops an, in denen die Teilnehmer:innen lernen, auch in Stresssituationen achtsam mit sich umzugehen und sich nicht so stark unter Druck zu setzen. So etwas ist ja sehr wichtig, um im Beruf erfolgreich und auch glücklich zu sein. Und ein- oder zweimal im Monat können sich die Teilnehmenden bei uns treffen, sich bei einem Kaffee kennenlernen und sich untereinander austauschen.

Wie viele Menschen haben mit Hilfe der „Jobbrücke“ schon eine neue Stelle gefunden?

Wir sind Anfang 2020 gestartet und bekommen drei Jahre lang Fördergelder von der Aktion Mensch. Das Ziel ist, insgesamt 75 Teilnehmer:innen zu erreichen. 2020 haben sich 25 Menschen angemeldet, das ist eine gute Zwischenbilanz.
Mit den Bewerbungen lief es durch die Corona-Pandemie natürlich etwas schleppender an als erwartet. Drei Menschen haben aber schon Arbeitsverträge unterschrieben und sind glücklich in ihren neuen Jobs. Einer von ihnen hat sogar die Aussicht, in seinem Unternehmen später eine Weiterbildung zu machen. Ein anderer Teilnehmer hat eine Ausbildung begonnen. Einige weitere wollen noch ihre Corona-Impfung abwarten, bevor sie einen neuen Job anfangen. Und bei den übrigen läuft die Patenschaft derzeit noch, sie brauchen noch etwas Zeit.

Wie sind Sie zu Ihrem Job bei dem Projekt gekommen?

Ich bin Seiteneinsteigerin, deshalb war ich gewissermaßen prädestiniert für diese Stelle. Ich habe mich nämlich auch ganz neu orientiert, als ich Anfang 40 war. Bis dahin hatte ich viele Jahre lang in der Kulturbranche gearbeitet und wollte gerne in einen sozialen Beruf wechseln. Dafür habe ich eine Ausbildung im Bereich Social Marketing und Fundraising gemacht. Ein Job soll ja Spaß machen und erfüllend sein – das gilt für mich genauso wie für die Menschen, die wir hier beraten. —

Über unsere Interviewpartnerin

Porträtfoto von Lina Antje Gühne
Foto: Claudia Kahnt

Name: Lina Antje Gühne
Geburtsjahr: 1972
Wohn-/Arbeitsort: Berlin
Beruf: Projektmanagerin Sozialer Bereich
(Persönlicher Bezug zum Thema) Behinderung: wünscht sich Gerechtigkeit und denkt intersektional, hat also verschieden Formen von Diskriminierung oder Benachteiligung im Blick. Sie ist sich ihrer eigenen Privilegien bewusst: Sie ist weiß, ist akademisch gebildet und hat keine Behinderung. Das möchte sie nutzen, um anderen, weniger privilegierten Menschen Zugangschancen zu eröffnen.

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