Von Menschen und ihre Geschichten

„Ich habe meine Bilder im Kopf und transportiere sie durch die Fotografie nach außen“

Susanne Emmermann ist mit Anfang 30 erblindet. Einige Jahre später entdeckte sie ein Hobby aus ihrer Jugend neu: die Fotografie. Inzwischen stellt die Berlinerin neben ihrem Hauptberuf ihre Werke zusammen mit anderen blinden Fotografinnen und Fotografen aus und bietet Kurse an. Im Interview erzählt sie, wie ihre besonderen Bilder entstehen und warum sie so gerne fotografiert.

Eine Frau vor tiefschwarzem Hintergrund mit langen Haaren und roten Handschuhen hält sich die Augen zu. Die Handschuhe und die Haare leuchten.

Frau Emmermann, Sie haben uns für diesen Beitrag ein tolles Foto zugeschickt. Darauf ist eine Frau mit langen Haaren zu sehen, die rote Handschuhe trägt und sich die Augen zuhält. Die Handschuhe und die Haare leuchten. Wie haben Sie das gemacht?

Mit einer Technik, die „Light Painting“ (auf Deutsch: „Licht-Malerei“) heißt. Sie kennen sicher Bilder, die im Dunklen aufgenommen wurden und auf denen jemand mit einer Taschenlampe oder mit Wunderkerzen Wörter oder Formen in die Luft „geschrieben“ hat. So ähnlich arbeite ich auch. Die Kamera wird in einem dunklen Raum oder bei Nacht draußen aufgestellt und nimmt mehrere Sekunden, Minuten oder sogar Stunden auf. Während der Belichtungszeit leuchte ich meine Motive mit unterschiedlich großen Taschenlampen, Knicklichtern oder Lichterketten an, manchmal direkt von vorne, manchmal von der Seite, manchmal befindet sich die Lichtquelle auch hinter dem Motiv – je nach dem gewünschten Effekt. Ich spiele mit dem Licht.
Für das Foto, das ich Ihnen geschickt habe, habe ich mit kleinen Lampen die Haare und die Handschuhe angeleuchtet. Der besondere Effekt ist unter anderem dadurch entstanden, dass der glänzende Stoff der Handschuhe das Licht reflektiert hat.

War das so geplant?

Nein, bei diesem Bild hat sich vieles erst im Prozess ergeben. Es war eines der ersten Fotos, die ich mit der Light-Painting-Technik aufgenommen habe. Ich wollte einen Bezug zum Nicht-sehen-Können herstellen und hatte die Idee, dass das Modell sich die Augen zuhalten soll. Den Rest haben wir während des Shootings erarbeitet. Inzwischen setze ich das Light Painting ganz gezielt ein und plane meine Motive vorher sehr gründlich. Ich habe die Bilder im Kopf und transportiere sie über Fotos nach außen.

Wann haben Sie die Fotografie für sich entdeckt?

Ich habe schon als Jugendliche sehr gerne fotografiert. Mein Vater hatte mir seine alte Kamera gegeben, damit habe ich im Urlaub und bei Festen Bilder gemacht. Diese Kamera habe ich lange benutzt, aber irgendwann ging es nicht mehr und es hat keinen Spaß mehr gemacht, weil ich nicht mehr richtig durch den Sucher schauen konnte.

Das hat mit Ihrer starken Sehbehinderung zu tun. Können Sie beschreiben, was Sie sehen können und was nicht mehr?

Ich habe die Netzhaut-Erkrankung Retinitis pigmentosa, die zu einer schleichenden Erblindung führt. Mit Anfang 30 habe ich die Diagnose bekommen. Inzwischen bin ich blind mit einem kleinen Sehrest. Ich kann noch ein bisschen hell und dunkel erkennen.

Wie haben Sie Ihr Jugend-Hobby später wiederentdeckt?

Die ersten Bilder habe ich mit meinem Smartphone gemacht, wenn ich schöne Momente erlebt habe oder in einer Gegend war, die ich kannte und mochte. Zum Beispiel an einem Ort an der Ostsee, wo ich schon als Kind Urlaub gemacht hatte. Wenn man dort zwischen den Dünen hindurch zum Strand läuft, kommt man an einen kleinen Durchgang mit Blick aufs Meer, rechts und links sind Sträucher und Bäume, wunderschön. Dieses Panorama wollte ich einfangen. Mit dem Smartphone geht so etwas ganz gut, weil es vieles automatisch einstellt und viele Bildinformationen ansagt, etwa den Fokus und wie viele Gesichter im Bildausschnitt zu sehen sind.

Heute arbeiten Sie zusammen mit anderen blinden Fotografinnen und Fotografen in einem Fotostudio. Wie kam es dazu?

Ich hatte mich vor Jahren zu einem Projekt der Alice-Salomon-Hochschule hier in Berlin angemeldet. Das ist eine Hochschule für Soziale Arbeit und Gesundheitsberufe. Bei dem Projekt haben Studentinnen und Studenten blinde Menschen beim Fotografieren begleitet und sie unterstützt, indem sie ihnen die Umgebung, die Motive und die Bilder beschrieben haben. Vor ein paar Jahren habe ich dann in einem Workshop das Light Painting kennengelernt und tolle Kolleginnen und Kollegen getroffen. Wir haben nach dem Kurs zusammen in einem Fotostudio weitergemacht, das speziell für blinde Menschen und das Light Painting eingerichtet ist. Wir alle arbeiten mit Light Painting und tauschen uns dazu viel aus. Wir gestalten in unserem Studio gemeinsam Ausstellungen. Zuletzt haben wir unsere Bilder bei f3 – freiraum für fotografie gezeigt. Außerdem bieten wir Workshops an, etwa für soziale Projekte. Es macht Spaß, Menschen diese Technik zu zeigen. Vor allem Kinder sind davon total begeistert.

TIPP

Für 5 Euro könnt ihr auf der f3-Website an einer virtuellen 360-Grad-Tour teilnehmen und euch die Werke von vier Bildautor:innen aus unterschiedlichen Altersgruppen anschauen, die jeweils im Laufe ihres Lebens erblindet sind. Die Ausstellung zeigt auch Bilder von Susanne Emmermann.

Arbeiten Sie bei Ihren Foto-Shootings allein?

Nein, ich habe immer eine Assistentin oder einen Assistenten dabei, meistens Freundinnen und Freunde von mir, die selbst auch fotografieren oder sich einfach dafür interessieren. Sie stellen für mich die Kamera so ein, dass sie das Motiv genau so erfasst, wie ich es mir vorstelle. Wenn wir ein Bild gemacht haben, beschreiben sie es mir mit allen Details – so, wie es damals auch die Studentinnen und Studenten an der Hochschule gemacht haben. Anhand dieser Informationen kann ich entscheiden, ob ein Foto gut geworden ist oder ob wir noch etwas verändern müssen.

Welche Motive fotografieren Sie am liebsten?

Ich mache gerne Bilder von Menschen, zuletzt habe ich mich viel mit Händen beschäftigt. Das sind Körperteile, die Halt und Sicherheit geben und Mut machen können. Das möchte ich zeigen. Auf einem Foto sind zwei Frauen zu sehen, die sich über einen symbolisch dargestellten Fluss hinweg die Hände reichen. Zwischen den Händen habe ich mit Taschenlampen Lichtstreifen erzeugt, um ihre Verbindung darzustellen.
Ich finde es aber auch sehr spannend, abstrakte Formen zu schaffen. Für ein Foto habe ich mich zum Beispiel ganz dunkel gekleidet und mit schwarzen Handschuhen eine Taschenlampe gehalten, die wir vorher mit buntem Transparentpapier beklebt hatten. Ich habe sie schräg in die Kamera gehalten und spiralförmig bewegt, dabei bin ich von der Kamera aus rückwärtsgelaufen. Dadurch ist ein Bild mit 3D-Effekt entstanden. Die Form hat Ähnlichkeit mit einer Luftschlange.

Ist die Fotografie für Sie ein Hobby oder ein Beruf?

Sie ist nicht mein Beruf, aber mehr als ein Hobby. Die Fotografie ist für mich eine Möglichkeit, Gefühle und Erlebnisse kreativ zu verarbeiten und auszudrücken. Im Hauptberuf arbeite ich in der Finanzabteilung der Berliner Verkehrsbetriebe.

Über unsere Interviewpartnerin

Porträt von Susanne Emmermann
Foto: Tina Besen

Name: Susanne Emmermann
Geburtsjahr: 1959
Wohn- und Arbeitsort: Berlin
Beruf: Diplom-Ökonomin
(Persönlicher Bezug zum Thema) Behinderung: Nicht sehen können, aber gesehen werden.

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