Herr Bähner, Sie arbeiten zurzeit als Altenpfleger in einer Rehaklinik, haben also schon einen Beruf gelernt und üben diesen auch aus. Was war Ihr Antrieb, sich weiterzubilden?
Ich habe eine neue Herausforderung gesucht, deshalb habe ich mich im Jahr 2020 bei der Bildungsakademie (BAK) in Siegen für eine Weiterbildung zur Pflegedienstleitung angemeldet, die ich in diesem Frühjahr abgeschlossen habe. Durch das Zertifikat habe ich jetzt gute Karrieremöglichkeiten und Chancen auch für den Fall, dass ich einmal nicht mehr in der Pflege arbeiten kann.
Sie haben die Weiterbildung wegen der Corona-Pandemie komplett online absolviert, also in Videokursen. Wie war das für Sie?
Das war oft schwierig, weil ich zum Beispiel die Lippenbewegungen der anderen in Videokonferenzen viel schlechter sehen kann, als wenn Menschen mir in einem Gespräch oder Kurs direkt gegenübersitzen. Dadurch, dass alles online stattfand, gab es auch zu wenig Austausch oder Gruppenarbeiten. Über 18 Monate und insgesamt 720 Stunden Unterricht hinweg war das schon sehr anspruchsvoll. Zum Glück hatte ich zwei Gebärdensprachdolmetscherinnen an meiner Seite, die mich sehr unterstützt haben. Sie haben mir zum Beispiel viel Organisatorisches abgenommen und waren sehr flexibel. Es war zum Beispiel laufend nicht klar, ob Teile der Weiterbildung auch in Präsenz stattfinden würden. Sie haben sich deshalb die Termine für beide Varianten freigehalten, damit ich auf jeden Fall teilnehmen konnte. Und sie haben den Dozent:innen, den anderen Kursteilnehmer:innen und auch mir sehr konstruktive Hinweise gegeben, wie die Videokonferenz-Software am besten genutzt werden kann, damit es auch für mich optimal funktioniert.
Was war bei den Videokonferenzen für Sie besonders wichtig, damit Sie gut folgen konnten?
Ich musste die Lehrperson, beide Gebärdensprachdolmetscherinnen und die Präsentationen oder Videos, die gezeigt wurden, gleichzeitig sehen können. Das technisch zu lösen, war nicht so einfach. Denn die Software ließ nicht zu, mehrere Beteiligte gleichzeitig „anzupinnen“, damit ich sie nicht immer zwischen den anderen Teilnehmer:innen suchen musste. Wir sind daher zunächst auf die Lösung ausgewichen, mehrere Videokonferenzen parallel laufen zu lassen. Das funktionierte dann aber aufgrund der Internetbandbreite irgendwann nicht mehr.
Die Dolmetscherinnen haben sich abseits der Kurse regelmäßig mit mir getroffen, um diese und andere Lösungen auszuprobieren und zu besprechen, was wir wie verbessern könnten. Bei diesen Treffen haben sie mir auch Rückmeldungen dazu gegeben, was ich selbst noch anders machen kann, damit sie mich umgekehrt während der Konferenzen besser verstehen und so besser dolmetschen können. Ich wollte mich ja nicht nur am Unterricht beteiligen, sondern auch gut präsentieren. Das war für meine Referate, Präsentationen und die Abschlussprüfung besonders wichtig.
Haben immer beide Dolmetscherinnen an den Unterrichtsstunden teilgenommen?
Ja, aber sie haben während der Kurse dann abwechselnd für mich gedolmetscht. Die Dolmetscherinnen haben außerdem vorausschauend gehandelt. So haben sie beispielsweise direkt zu Beginn meiner Ausbildung ein Vertretungsteam zusammengestellt, für den Fall, dass sie selbst erkranken oder aus anderen wichtigen Gründen einmal nicht selbst dolmetschen könnten. Es war für mich eine große Entlastung, dass ich mich nicht selbst darum kümmern musste. Sie haben mir die anderen Dolmetscherinnen vorher auch vorgestellt und sie eingearbeitet, ihnen also zum Beispiel die Ausbildungsinhalte und die vereinbarten Fachgebärden übermittelt. Denn auch das war wichtig, damit sie fachlich korrekt dolmetschen konnten. Dazu haben die beiden Stammdolmetscherinnen während meiner Weiterbildung übrigens sogar selbst Fortbildungen besucht, etwa zum Thema Pflege, aber auch zum Thema Videodolmetschen.
Haben Sie Ihre mündliche Abschlussprüfung auch online abgelegt?
Ja, und auch das war eine Herausforderung. Ich musste mich ja nicht nur inhaltlich vorbereiten. Ich habe auch mit meinen Dolmetscherinnen und den Verantwortlichen bei der Berufsakademie besprochen, wie die Online-Prüfung gestaltet sein muss, damit ich keine Nachteile habe. Dazu haben wir den Integrationsfachdienst (IFD)* mit ins Boot geholt und am Schluss eine schriftliche Vereinbarung über die Rahmenbedingungen geschlossen. Das waren rechtliche Fragen, die mit dem Dolmetschen einer Online-Prüfung zusammenhängen, zum Beispiel: Was ist, wenn die Internetleitung zusammenbricht? Wie können die Prüfer:innen sich sicher sein, dass bei der mündlichen Prüfung nicht über die Dolmetscherinnen geschummelt wird? Es ging darüber hinaus auch um Nachteilsausgleiche, die Rechte der Dolmetscherinnen oder darum, wer für den Datenschutz verantwortlich ist. Das alles mussten wir klären, weil es beim IFD dazu noch kein Vorwissen gab.
Sie haben die Prüfung inzwischen bestanden und Ihr Zertifikat in der Tasche. Bewerben Sie sich jetzt als Pflegedienstleiter?
Nicht sofort, aber das ist mein Ziel. Erst einmal möchte ich als Stationsleiter oder Wohnbereichsleiter arbeiten, falls ich eine passende Stelle finde. Ich möchte erst einmal noch mehr Berufserfahrung sammeln und später in die Pflegedienstleitung aufsteigen. —
Über unseren Interviewpartner
Name: Marco Bähner
Geburtsjahr: 1987
Wohn- und Arbeitsort: Bad Berleburg
Beruf: Altenpfleger
Behinderung: ist gehörlos
*So funktionierte die Unterstützung durch den Integrationsfachdienst (IFD)
Nachdem Marco Bähner sich für eine Weiterbildung zum Pflegedienstleiter entschieden hatte, war der Integrationsfachdienst (IFD) Siegen-Wittgenstein und Olpe seine erste Anlaufstelle. Für den IFD war es allerdings eine Premiere, dass eine so umfangreiche Kursreihe von Gebärdensprachdolmetscherinnen begleitet wurde – und auch noch vollständig online stattfand. Bis dahin hatte das IFD-Team eher mit kurzen Fortbildungen zu tun, die zumindest teilweise in Präsenz stattfanden und bei denen für einen oder zwei Tage Dolmetscher:innen gebraucht wurden.
Um zu ermitteln, was Marco Bähner genau für seine Weiterbildung und die Prüfungen benötigen würde, besprach sein Berater Thomas Wied vom Integrationsfachdienst die Anforderungen mit der Bildungsakademie, vermittelte den Kontakt zu den Gebärdensprachdolmetscherinnen und berechnete das nötige Dolmetscherkontingent. Das LWL-Inklusionsamt Arbeit bewilligte diesen Umfang. Nach Abschluss der Weiterbildung besprach Thomas Wied mit Marco Bähner und allen Beteiligten, was gut geklappt hatte und was hätte verbessert werden können. Diese Erfahrungen kann der IFD in Zukunft nun für ähnliche Situationen nutzen.