Frau Lüdeking, wie sind Sie auf die Idee für das Projekt gekommen?
Vielen Menschen mit Behinderungen oder chronischen Erkrankungen gibt es großen Rückhalt, wenn sie sich mit anderen zusammenschließen und austauschen können, um sich so gegenseitig zu helfen. Damit diese Selbsthilfe auch künftig gut funktioniert, sind neben persönlichen Treffen auch digitale Möglichkeiten wichtig. Gerade während der Corona-Pandemie wurde ja sehr deutlich, wie dringend sichere, barrierefreie digitale Kommunikation gebraucht wird. Wir lassen deshalb nun Apps entwickeln, die von der Aktion Mensch Stiftung gefördert werden..
Warum haben Sie das Format der digitalen App gewählt?
Apps gehören heute für die allermeisten Menschen zum Alltag. Mit ihnen lassen sich Informationen austauschen und unkompliziert Kontakte aufnehmen. Wenn sie außerdem barrierefrei gestaltet sind, profitieren auch Menschen mit Behinderungen davon. Unser Ziel ist es, digitale Hürden abzubauen und gleichzeitig die Selbsthilfe digital weiterzuentwickeln. Apps können dabei helfen, weil sie nicht nur Informationen bündeln können, sondern auch zur Beteiligung einladen – etwa durch Push-Nachrichten oder andere Möglichkeiten der Vernetzung. Akteur:innen der Selbsthilfe bekommen damit ein modernes Werkzeug zur Kommunikation und für die Öffentlichkeitsarbeit an die Hand, das sie selbst aktiv mitgestalten können.
Welche Funktionen müssen Apps bieten, um den Alltag für die Aktiven in der Selbsthilfe zu erleichtern?
Die Nutzerinnen und Nutzer können sich zum Beispiel direkt über Angebote ihrer Selbsthilfeorganisation informieren und bekommen aktuelle Infos, Tipps oder Veranstaltungshinweise direkt aufs Handy. Veranstaltungen lassen sich über die App einfach buchen. Außerdem bieten viele Apps einen Chat oder andere Wege der Kontaktaufnahme. Selbsthilfegruppen können sich darüber außerdem intern organisieren oder beispielsweise Räume reservieren. So entsteht eine zeitgemäße Form der Selbsthilfe, die ortsunabhängig funktioniert. Eine Übersicht über die bisher entwickelten Apps und deren Funktionen gibt es übrigens auf unserer Projekt-Website.
Ihr Projekt hat zwei Schwerpunkte. Welche sind das?
Mit der ersten Säule verbessern wir die technische Grundlage der Apps, also die Plattform unseres Technologiepartners vmapit. Menschen mit Behinderungen testen die bereits vorhandenen Apps in dieser Säule intensiv durch und helfen so dabei, Barrieren aufzuspüren. In der ersten Säule sind der Bundesverband für körper- und mehrfachbehinderte Menschen e.V. (bvkm), der Deutsche Schwerhörigenbund e.V. (DSB) und der Deutsche Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf e. V. (DVBS) als Modellorganisationen mit dabei. Sie entwickeln mit uns je eine App, die laufend verbessert wird. Die Erkenntnisse daraus fließen dann in weitere Entwicklungen der zweiten Säule ein.
In der zweiten Säule unseres Projekts geht es darum, bis zu 100 weitere Organisationen anzusprechen, die ebenfalls eine eigene App bekommen sollen – angepasst an ihre Inhalte und ihr Design. Wir beraten und schulen sie bei der Konzeption und unterstützen bei der Umsetzung.
Wie wurden die Organisationen ausgewählt, die mitmachen dürfen – und wie helfen Sie diesen?
Teilnehmen dürfen alle Mitgliedsorganisationen des Paritätischen, die sich im Bereich der Selbsthilfe engagieren. Sie können sich jederzeit bei Interesse bei uns melden. Wichtig ist, dass sie offen für digitale Themen sind und eine Person im Team haben, die die App inhaltlich pflegen kann – egal, ob haupt- oder ehrenamtlich. Technisches Vorwissen ist dafür übrigens nicht nötig. Wir begleiten die Organisationen bei ihren Fragen. Die Entwicklungskosten werden aus der Projektförderung gedeckt, die Organisationen müssen die monatlichen Betriebskosten tragen – etwa für IT-Support und Updates. Diese liegen zwischen 80 und 140 Euro netto. Dafür können sie aber Fördermittel bei den Krankenkassen beantragen.
Wie stellen Sie sicher, dass die Apps barrierefrei sind, die im Rahmen des Projekts entwickelt werden?
Wir orientieren uns an gesetzlichen Standards wie der Barrierefreie-Informationstechnik-Verordnung (BITV) und der europäischen Norm EN 301 549. Die Apps werden automatisch und manuell getestet, unter anderem mit Screenreadern. Außerdem testen Menschen mit Behinderungen die Apps auf Barrieren und Nutzerfreundlichkeit. Und: Es ist ein externer BITV-Test für die Apps geplant. Damit auch die Nutzer:innen die App hinterher gut nutzen und eventuelle Hindernisse an uns zurückmelden können, enthält jede App eine Möglichkeit, Barrieren direkt zu melden.
Was sind typische Herausforderungen in der Entwicklung solcher Apps – und wie lösen Sie diese?
Die Bedürfnisse der Nutzer:innen sind sehr unterschiedlich. Beim bvkm war es zum Beispiel sinnvoll, Inhalte in Leichter Sprache anzubieten – das macht die App für viele verständlicher. Für andere wiederum wirkt sie dadurch weniger ansprechend. Dennoch halten wir hier am ersten Ansatz fest, weil er mehr Menschen einbezieht. Auch technisch gibt es viele Anforderungen zu beachten: Datenschutz, Mehrsprachigkeit, ein auf mobile Geräte ausgelegtes Design oder die Einhaltung von Barrierefreiheitsrichtlinien. Barrierefreiheit bedeutet zum Beispiel auch, dass Screenreader Formulare richtig erfassen können oder Inhalte kontrastreich und anpassbar sein müssen. Gleichzeitig müssen die Apps auf allen Geräten zuverlässig laufen. Unser Technologiepartner verbessert die Apps daraufhin fortlaufend. So soll ein barrierefreier App-Baukasten entstehen.
Wie stellen Sie den Datenschutz sicher – vor allem bei Gesundheitsdaten?
Die Organisationen sind selbst die Herausgeber ihrer Apps und entscheiden daher auch, welche Daten wie verarbeitet werden. Vmapit als technischer Partner stellt nur die Infrastruktur zur Verfügung, diese wird DSGVO-konform in Deutschland betrieben. Dabei werden nur die nötigsten personenbezogenen Daten verarbeitet. Weil es sich nicht um medizinische Apps handelt, werden außerdem in der Regel keine sensiblen Gesundheitsdaten verarbeitet. Die Kommunikation zwischen App und Server ist zudem verschlüsselt.
Wie kommen die Apps in der Zielgruppe an?
Die Nutzer:innen schätzen besonders die einfache Vernetzung mit anderen und den schnellen Zugang zu Informationen. Durch die Tests in der ersten Projektsäule bekommen wir außerdem viele hilfreiche Hinweise zur Verbesserung mitgeteilt – etwa zur Bedienbarkeit für Menschen mit motorischen oder visuellen Einschränkungen. Für die App des Deutschen Schwerhörigenbunds e. V. (DSB) wurde sogar ein sehr guter Wert bei der Benutzerfreundlichkeit erzielt.
Und wie geht es weiter?
Wir verbreiten das Projekt über Veranstaltungen, im Newsletter, auf der Website und über Social Media. Aktuell planen wir eine Veranstaltung, mit der wir die Apps stärker in die Öffentlichkeitsarbeit der Organisationen einbinden möchten – damit werden die neuen Anwendungen sichtbarer und deren Pflege wird langfristig sichergestellt.
Über unsere Interviewpartnerin

Name: Leona Lüdeking
Geburtsjahr: 1991
Arbeitsort: Berlin
Beruf: Referentin, Paritätischer Gesamtverband
Persönlicher Bezug zum Thema Behinderung: möchte gesellschaftliche Teilhabe für alle Menschen aktiv voranbringen und hierfür gemeinsam mit Menschen mit Behinderungen digitale Barrieren abbauen, zum Beispiel mit dem Modellprojekt.